Der Morgen

Maddin68

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16. März 2013
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Für mich eines der schönsten Liebesgedichte überhaupt: "Der Morgen" von John Donne.


Kinogänger kennen dieses Gedicht eventuell: Im Film "Tristan und Isolde" von 2005 taucht dieses Gedicht ebenfalls auf.


Der Morgen


Ich frag mich, was wir taten, du und ich,



Bis wir uns liebten? War'n wir nicht entwöhnt?



Gesäugt von Kinderspielen lächerlich?



In Siebenschläfers Höhle schlafgewöhnt?



So war es wohl -; doch all dies, - eitler Schaum.



Jedoch, wenn jemals Schönes ich erblickt,



Was ich ersehnte, fand: es war von dir ein Traum.






Jetzt den erwachten Seelen Guten Morgen,



Die nun einander, nicht aus Furcht, bewachen;



Denn Liebe wird die Lieb' zu andern schmälen,



Und einen kleinen Raum zur Welt sich machen.



Entdecker laß zu neuen Welten reisen,



Laß Karten Andern Welt um Welten weisen:



Laß eine Welt uns haben - und als eine kreisen!






In deinem Aug erscheint mein Angesicht,



In meinem deins, die reinen Herzen zeigend;



Zwei bessre Hemisphären fand man nicht:



Ohn kalten Nord, und nicht nach Westen neigend.



Was ungleich war gemischt, muß Tod erleiden -



Ist unsre Liebe eins nur, und wir beiden



Gleich liebend: nie kann eins ermatten noch verscheiden
.

(John Donne (1572 - 1631))

 
Ein Gedicht von meinem Lieblingsschriftsteller, Hermann Hesse. In einer seiner Erzählungen taucht es ebenfalls auf, ich weiß nur nicht mehr, in welcher.

Ist mir gerade wieder in den Sinn gekommen, nachdem ich von der Dame meines Herzens zurückgewiesen wurde...

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Einsam ist jeder Busch und Stein,

Kein Baum sieht den andern,

Jeder ist allein.

Voll Freunden war mir die Welt,

Als noch mein Leben licht war;

Nun, da der Nebel fällt,

Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,

Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Leben ist Einsamsein.

Kein Mensch kennt den andern,

Jeder ist allein.

(Hermann Hesse)





EDIT (automatische Beitragszusammenführung)





Noch ein Gedicht, das mir in meinem Liebeskummer wieder in den Sinn gekommen ist.


Diesmal von Rainer Maria Rilke:


Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(Aus: "Das Buch der Bilder" - Rainer Maria Rilke (1875 - 1926))

 
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Morgendämmerung

Es ist ein still Erwarten in den Bäumen,Die Nachtigallen in den Büschen schlagen

In irren Klagen, können's doch nicht sagen,

Die Schmerzen all und Wonne, halb in Träumen.

Die Lerche auch will nicht die Zeit versäumen,

Da solches Schallen bringt die Luft getragen,

Schwingt sich vom Tal, eh's noch beginnt zu tagen,

Im ersten Strahl die Flügel sich zu säumen.

Ich aber stand schon lange in dem Garten.


Und bin ins stille Feld hinausgegangen,

Wo leis die Ähren an zu wogen fingen.

O fromme Vöglein, ihr und ich, wir warten

Aufs frohe Licht, da ist uns vor Verlangen

Bei stiller Nacht erwacht so sehnend Singen.


(Von Joseph von Eichendorf)