Der Verlust des Menschseins

Iceman4865

Erfahrener Benutzer
21. Juni 2003
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Hallo Leute,

nach mehr als einem Jahr schreibe mal wieder einen Thread hier in dieses Forum. Eigentlich hat es jetzt nicht direkt etwas mit Liebeskummer zu tun. Es sind eher allgemeine Gedanken über mein Leben, Liebe und das Glücklichsein. Und das ordinäre Verhalten von Menschen zueinander, welches die Grundlage für dieses bittersüße Forum ist.

Vor ein paar Jahren war mein Leben eine ziemliche Müllhalde. Ich war Student, wechselte fast jedes Semester meine Studienfächer weil einfach gar nichts passte. Ich ging nicht zu den Vorlesungen, betäubte meine Sorgen mit sehr viel Bier und vertrödelte meine Zeit mit jeder Menge Vergangenheit. Die glorreichen und schönen Schulzeiten mit allen meinen Freunden, der Spaß und die Unbeschwertheit dieser Zeit und Gedanken an meine große Liebe ließen meine Seele schwer wie Blei werden.

Letztes Jahr brach ich endlich aus und exmatrikulierte mich selbst. Endlich! Aber ein Student ohne Abschluss rutscht ganz nach unten, nämlich Arbeitslosigkeit. Diese beschissene Medienerfindung und mein Lieblingsunwort „Hartz 4“ sind die bittere Realität und Konsequenz meiner Tagträumereien. Aber das ist für mich aber auch eine Chance und als diese sah ich es auch an, denn ich mache mir nicht viel aus dem, was andere über mich denken.

Mein Quereinstieg führte mich im Sommer und Winter des letzten Jahres in die Redakteursbranche als Praktikant. In einem großen Unternehmen, das über 15 Zeitschriften jeden Monat auf die Beine stellt fing ich als Praktikant an und fühlte mich sofort wohl… Es passte alles, die Arbeit, die Kollegen… einfach genial! Mein Ziel war es natürlich ein begehrtes Volontariat zu bekommen. Nach einem dämlich bürokratischen Hick Hack mit dem Arbeitsamt (das Praktikum war auswärts und das Arbeitsamt in meiner Heimatstadt wollte mit verbieten, um 3 Monate zu verlängern, obwohl es dadurch Geld gespart hätte, denn mein mickriges Gehalt von 150 Euro wurde natürlich angerechnet) und einem übel heuchlerischen Wettbewerb um die Stelle, zog ich den kürzeren und bekam trotz Lobesgesang die Volo-Stelle nicht. Trotz alledem hab’ ich gute Kontakte geknüpft und bewerbe mich in der Multimedia-Branche um einen Job und bin auch zuversichtlich, dass es was wird.

Mein Hauptproblem ist bei der ganzen Geschichte ist aber eher die Menschlichkeit drumherum. Man ist nicht unbedingt der diffamiert, weil man ALG II (wie es ja eigentlich heißt) bekommt. Eher das ganz allgemeine Miteinander. Angefangen von meiner Freundin, die mindestens einmal im Monat einen Rappel bekommt und sich dann mit mir streitet, bis hin zum Firmenhierarchie in einem Konzern, der 14 Millionen Euro jährlich verdient und behauptet kein Geld für weitere Arbeitkräfte zu haben und das Niveau durch mehr Hefte in kürzerer Zeit mit weniger Leuten zu produzieren. Das Arbeitsamt mit seiner menschlichkeitsverachetenden Haltung gegenüber jedem einzelnen der Hilfe benötigt oder der verdummenden Medienwelt, die eigentlich keine Welt ist, aber jedes Jahr hirnloseren Idiotismus für die Quote ausspuckt. Und hinter all dem steckt die allumfassende Antwort auf 90% aller Fragen: Geld! Ich weiß nicht ob es das Ziel ist den einzelnen in der Gesellschaft dumm zu halten. Ich habe kürzlich erfahren, dass es nicht um Leistung, sondern um Fassade, Aussehen und Geld geht. Dass gute Artikel zu schreiben oder Wissen eben nicht zum Volontariat führt, sondern andere Attribute wie Einschleimen, Aussehen und blinder Opportunismus. Und es ist moralisch verwerflich, da wir ja alle immer von einer Leistungsgesellschaft sprechen. Selbst im Privatleben zählt bei mir nicht mehr Liebe, Respekt und gemütliche Gemeinsamkeit, sondern Einsatz und Ertrag. Der leider 2007 gestorbene Philosoph und Solziologe Paul Watzlawick nennt hier das Nullsummenspiel als unsinniges Mittel zur Bewertung in einer Beziehung. Ich investiere um etwas zurück zu bekommen. Alles fühlt sich so dermaßen gezwungen an und es geht einfach nicht mehr um den Menschen selbst.

Man fühlt sich irgendwie verloren in einer immer dümmer werdenden Masse und sucht nach Gleichgesinnten. Dabei sind wir eben auch Teil der Vielen, dass ist ja das Perfide.

Ich fühle mich ausgekotzt und leer lasse einfach nichts mehr an mich heran. Diese Folge ist absolut negativ, denn ich merke, wie ich selbst Menschen, die ich liebe nicht mehr an meinen Gedanken teilhaben lasse. …

Ich bin trotzdem positiver als noch vor ein paar Jahren in einer trügerischen Sicherheit des sinnlosen Studiums und werde bald wieder Arbeit haben. Ich hoffe ich mache es besser und werde nicht Teil dieser misanthropischen Gesellschaft.

Ich hoffe ich kann jetzt schlafen.

Danke für eure Zeit,

@lles Liebe,

Ice

 
hallo ice,

ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob ich vor einiger zeit aehnlich dachte - oder ob ich es noch immer tue. jedenfalls ergab es sich zu dieser zeit, dass ich unverhofft auf viele "leidensgenossen" traf. die ursache dafuer war wohl, dass ich mich geoeffnet hatte - und nicht etwa weiterhin darauf wartete, dass sich die anderen nun endlich oeffnen. du kennst ja die mechanismen, wie sie beispielsweise in der "anleitung zum ungluecklichsein" beschrieben werden. entscheidend ist nicht, woher der wind weht, sondern wie wir die segel setzen. im prinzip schilderst du einen werteverlust bzw. eine werteverschiebung - und ich wette, dass es nicht wenige gibt, die deinen beitrag kopfnickend lesen werden. mehr aber auch nicht. einige moegliche gruende dafuer hast du bereits aufgezaehlt, andere werden vielleicht noch folgen... und ich bin gespannt, ob der naechstgelegene und fuer alle gleichermassen aenderbare dabei sein wird...

gruesse!

 
Nun ja, wenn es um Geld geht, da gelten immer andere Regeln - es fängt ja schon damit an, das Du unbesorgt vollgedröhnt jemanden umbrigen darfst, und dabei noch besser wegkommst, als wenn Du eine Bank betrügst...traurig aber wahr.

Aber das ganze aus sein Leben zu übertragen - weiß nicht, auch ich habe eine ziemlich schlechte Zeit, fühle mich ausgebrannt, ziemlich allein, wurde im letzten Jahr ziemlich heftig in den Hintern getreten von Menschen die mir wichtig waren.

Trotzdem habe ich beschlossen nicht so berechnend und kalt zu werden, ich will ich bleiben, auch wenn das heißt das ich noch mehr in den Hintern getreten werde im Laufe meines Lebens, besser als abzustumpfen.

Wenn Du das zuläßt, dann wirst Du nicht besser sein eines Tages als die die Du nun verachtest, Du wirst sie nicht ändern können, aber Du kannst dafür sorgen das Du es anders machst, und dazu stehst.

Die Netten kommen zwar nie so weit hoch wie die Miesen, aber dennoch können sie besser schlafen.

Und dazu:

Angefangen von meiner Freundin, die mindestens einmal im Monat einen Rappel bekommt und sich dann mit mir streitet,

Nunja, da könnte es eine ganz einfache Erklärung geben - Hormone....einmal im Monat.

Aber dem ganzen muß ich wohl hinzufügen das ich nie ein solcher Bummler war, ich eigentlich nahezu gar nicht der guten alten Zeit nachtrauere, sondern immer Versuche im Hier und Jetzt zu leben, auch nie zu weit nach vorne zu schauen.

Schön das Du nun weißt was Du willst und was nicht, ziehe Dir daraus Deine Kraft, und wenn etwas nicht klappt wie Du es willst, dann gebe nicht anderen die Schuld, und auch nicht Dir, sondern akzeptier es so wie es ist - und starte was Neues, Schuldzuweisungen bringen Dich nicht weiter, und sich über etwas oder jemanden zu ärgern kostet nur unnötig Kraft, Kraft die man in ein anderes Projekt leiten kann.

Wenn Du die Nase voll hast von Geschleime und Kriechern, dann mach doch so lange etwas ehrenamtliches - dort wirst Du nämlich das genaue Gegenteil kennen lernen: Dankbarkeit, die Freude über Kleinigkeiten, und daraus kann man viel Kraft ziehen, daraus das man nur mit zuhören schon jemandem sehr helfen kann, das man den Hund einer alten Dame spazieren führt, oder für sie einkaufen geht, oder mit Kindern Hausaufgaben macht, oder an Obdachlosen Essen vertreilst oder oder oder - Du mußt nur mal in die andere Richtung schauen, dann wirst Du sehen das es noch so viel Menschlickeit gibt, bei denen die sonst nicht viel haben.

Viele liebe Grüße, zickig