Engel oder Teufel?

xiaoye

Neuer Benutzer
21. Okt. 2013
1
0
0
31
Liebe Gemeinde,

Vor knapp drei Minuten habe ich mich auf dieser Website angemeldet. Es war eine schwierige Entscheidung und ich rede nun nicht mehr um den heissen Brei herum.

Ich bin mit meiner Freundin, die ich sehr wohl sehr liebe, seit einem Jahr und fünf Monaten ein Paar. Wir sind natürlich durch schwierigere Zeiten gegangen. Insbesondere sind wir beide ostasiatischer Herkunft und haben viel mit Kulturunterschieden zwischen Familie und der schweizerischen Umgebung zu kämpfen gehabt. Wie wir uns kennengelernt haben und alles - das ist für dieses Forum nicht so wahnsinnig wichtig. Vielleicht ist es noch wichtig zu wissen: Sie ist 21 und ich werde im November 20, aber die "Altersrollen" scheinen in unserer Alltagsbeziehung schier umgekehrt. Ich bin seit diesem Jahr Musikstudent. Sie ist aufgrund von Wiederholungen noch am Gymnasium.

Nun, angefangen hat das ganze eigentlich letztes Jahr anfangs November, als sie ihre ganze Courage zusammennahm und mir beichtete, dass sie früher, mittlerweile vor 3 Jahren, sich in der Erotikbranche versucht hat. Damals war sie wie jetzt immer noch Schülerin und sah keine andere Möglichkeit, sich eine Einzelwohnung zu finanzieren, um von ihrer sehr konservativen Familie wegzukommen. Nach vielen Inseraten usw. im Internet kam nur einmal ein wirkliches Treffen zustande...und das auch nur mit dem Mund. Danach hätte sie das schmutzige Kapitel für abgeschlossen und versiegelt erklärt, da sie sich dadurch glücklicherweise schlecht fühlte.

Als sie mir dies erzählte, weinte sie gleichzeitig. Ich weinte mit. Sie versicherte mir, dass sie das Kapitel wirklich abgeschlossen hätte. Danach umarmten wir uns und ich habe gesagt, dass es meine Einstellung ihr gegenüber nicht ändern würde. Das war auch so. Nur hab ich von da an einen grossen Fehler begangen: Ich fing an, krankhaft im Internet nach den genannten Inseraten zu suchen, um für mich selbst ihre Vergangenheit zu rekonstruiren und zu verarbeiten, denn ehrlich, traurig machte mich das schon. Ich suchte jede Nacht, Stunde für Stunde. Natürlich sagte mir die andere Hirnhälfte, dass das Inserat schon seit langem gelöscht worden sein wird. Die Suchphase dauerte gut einen Monat. Dann herrschte in mir wieder einigermassen Frieden. Meiner Freundin gegenüber änderte sich das Verhalten nie. Wir erzählten uns alles, küssten, hatten Sex, fuhren in die Ferien usw. Irgendwann gestand ich ihr auch meine Suchphase. Sie zeigte Verständnis dafür.

Wir schreiben nun 2013 - März - gut drei Monate später. Ich hatte ihren Laptop ausgeliehen und musste ein kleine Programm schreiben für Polynomberechnungen. Ich lud eine Datei (ppt) aus dem Internet herunter mit dem Namen "polynom - ***". Ich achtete jedoch nicht darauf, wo ich die Datei speicherte. Darum musste ich bei Windows im Startmenü suchen. Kaum tippte ich "pol..." ins Suchfeld, kamen Windows Live Mails als Suchergebnisse zum Vorschein. Zuerst dachte ich mir nichts dabei. Als ich jedoch die Adresse länger ansah, kam mir in den Sinn, dass viele Erotikinserenten komische gmx-Adressen verwenden. Dazu war meine Freundin nie ein Auto-Fan. So leid es mir auch tut, ich öffnete die Mails: Mitte Dezember 2012 hat sie sich wieder versucht. Mir wurde schwarz vor Augen.

Gleich darauf packte ich alle Sachen und fuhr zu ihr in die Schule. Als ich sie damit konfrontierte versuchte sie zuerst, die Ahnungslose zu spielen, konnte ihr Tun jedoch nicht mehr leugnen, als ich den Laptop aufklappte. Ich sackte zusammen. Sie schwörte mir, dass sie sich schlussendlich aus Liebe zu mir nicht mit dem Mann getroffen hat. Das glaubte ich ihr auch, denn zeitlich konnte es nicht sein, das weiss ich - ein wenig zu aufwendig, um es zu erklären. Wir haben uns an dem Tag bald wieder geküsst und es schön miteinander gehabt. Wir besuchten am Abend zusammen eine Singprobe. Da verzeihte ich ihr wirklich.

Doch ab dann hat sich wirklich etwas verändert. Ich suchte diesmal nicht mehr im Internet nach Inseraten - ich überwachte die Website *** JEDEN TAG. Nun diente die Suche nicht mehr dazu, etwas zu rekonstruiren, sondern wirklich der fieberhaften Überwachung. Diese Phase klingte jedoch auch wieder ab. Mitte Mai hatten wir unseren Jahrestag. In unserer Beziehung war wieder alles wie normal. Ich spürte aber, dass ich es vor allem körperlich nicht mehr schaffte, persönliche, sportliche Höchstleistungen zu erbringen. Ich weigerte mich aus für euch wahrscheinlich verständlichen Gründen, diesen Verlust als somatische Erscheinungen wahrzuhaben.

Meine Freundin und ich verbrachten eine sehr schöne Zeit von Mitte Mai bis Ende Juni. Über diese kann ich mich nicht beklagen. Wir zankten immer mal wieder zwischendurch, das jedoch aus teils recht blöden Gründen. :) Sie hat mich durch unsere bisherige Beziehung hindurch auch ständig Geborgenheit und Hilfe geboten. Eigentlich ist sie immer da, wenn ich sie brauche.

Am 1. Juli 2013 war es soweit. Ich musste ins Militär. Die RS begann. An mich geklammert liess sie sich am Montagmorgen noch von mir in die Schule begleiten. Danach fuhr ich gegen Mittag alleine in Richtung Romandie, nach Payerne. Die erste Woche der RS war sehr streng. Ich kam nur wenig bis gar nicht dazu, meiner Freundin eine SMS zu schreiben. Als ich von der ersten Woche zurückkehrte erwarteten wir uns am Bahnhof. Wir fuhren zu mir nach Hause. Am nächsten Tag war ihr Geburtstag. Wir verbrachten zwei schöne Tage miteinander. In der sechsten Woche, also schon Mitte August, machte ich in meiner Kompanie die Überlebenstage auf den Geissalp mit. Ich wälzte mich in Kuhfladen, fiel auf den Kopf, keuchte in der Schutzmaske und wurde beinahe erschossen. Die Vorfreude war desto grösser, meine Freundin am Samstag wieder zu sehen. Als ich sie jedoch am Bahnhof erblickte, wusste ich, dass etwas nicht stimmen konnte. Ihre Augen weichten meinen als ich sie anblickte oder wurden ein wenig matt und ich brachte sie nur schwer zum lachen. Auf meine Frage antwortete sie nur damit, dass sie müde war. Wir gingen zu ihr nach Hause. Auch unterwegs hatte ich immer noch das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ein wenig später war das Gefühl schwächer geworden. Bei ihr zuhause küssten wir uns zärtlich und hatten Sex. Danach döste ich neben ihr ein, an ihren Beinen angekuschelt, während sie sass und auf dem iPad das Geständnis abtippte, das mich wahrscheinlich noch lange des Verstandes verbannen wird. Als ich aufwachte und sie sich eigentlich dazu bereitmachen sollte, wieder sommerferienmässig in einem Schwimmbad arbeiten zu gehen, hielt sie mir das iPad hin. Ich versuche seitdem, den Text zu vergessen, was mir auch teilweise bereits gelungen ist.

"Liebster Schatz, ...Vor vier Wochen habe ich wieder die Sehnsucht nach körperlicher Nähe gespürt.

...Ich habe im Internet einen Mann kennengelernt.

...in Zürich getroffen... ich habe seinen Kuss nicht abgewehrt...

...mehr war es nicht...

...eine Woche später hatte er einen Autounfall...

...nichts...

...Ich meldete mich bei einem Escort-Dienst...

...mein Name ist A*, 19 Jahre alt, KV...

...Ich hatte ein Foto-Shooting in St. Gallen...

...Vorgestern...Der Mann aus Zürich hat mir vorgestern wieder angerufen...

...ich ging zu ihm nach Hause und wird hatten Sex...

...Dann kam ein Escort-Treff zustande...

...Gestern...ich wurde für 20 % meines Lohnes zum Kunden heimgefahren...

...ich wurde eine Stunde gebucht, jedoch gab er mir mehr Geld als versprochen...

...alles passierte NIE ohne Kondom...

...die Liebe war nur körperlich...ich liebe dich immer noch über alles...

...ich gebe dir meinen Ring und Zeit, um zu entscheiden, ob du mich so noch möchtest..."

Leute, Leute. Scheisse.

Ab dort wurde ich endgültig zum Verrückten. Mir brach die Hysterie los, innerlich.

Ich habe ihr den Ring gleich wieder an den Finger gesteckt und gesagt, dass ich sie noch haben will.

Sie weinte.

Ich habe ihre Tasche wortlos genommen, ausgeleert und durchsucht.

Ich befahl ihr, sich krankzumelden, mit mir nach Hause zu gehen und mit mir darüber zu sprechen. Auf die Frage, ob sie überhaupt vor hatte, mit dem Escort aufzuhören, nickte sie bestimmt und weinte heftiger.

Wir schrieben zusammen die Absage-Mail. In der gleichen Nacht nahm ich noch meinen Laptop heraus und verfluchte die Zuhälterin mit einem Mail. Zudem sah ich die Fotos, die im Foto-Shooting entstanden sind. Meine Freundin erzählte mir zudem, dass es sich bei dem Mann aus Zürich um einen SF-Moderatoren gehandelt hat. Ich wünsche beiden Männern den Tod. Ich wurde einfach verrückt. ABER LEUTE, ICH LIEBE MEINE FREUNDIN IMMER NOCH.

Am folgenden Sonntag musste ich wieder in Payerne einrücken. Am folgenden Montag stattete uns der Militärpsychologe einen Besuch ab. Ich verlangte ein Einzelgespräch und weinte dann dort mein Herz aus der Seele. Ich verlangte die Waffenuntauglichkeit, um keinen Kameraden zu gefährden. Anderthalb Wochen später fuhr ich nach Sumiswald und polterte dort in der psychischen Untersuchung des Rekrutierungszentrums so lange herum, bis ich den Stempfel kriegte.

Mein Herz fing an, unregelmässig zu schlagen und alle paar Minuten setzte ein Pochen im Kopf ein. Ich schrie Zimmergenossen grundlos an und ich sorgte schadenfreudig dafür, dass ein Unteroffizier aufgrund von Ausdrücken, die er einmal nach dem Ausgang im Suff anwendete, aus der Armee geworfen wurde.

Aber ich liebe meine Freundin immer noch.

Wir haben uns auch immer am Wochenende getroffen, Sachen miteinander unternommen und versucht, uns wieder normal zu fühlen. Eigentlich klappt es richtig gut. Nach drei Monaten Militär bin ich nun mit einer Franktionierung für mein Studium wieder zivil. Meine Freundin fuhr dann für eine Woche nach Italien. Nach dem Rückkehr läuft alles wieder gut.

Wisst ihr. Immer wenn ich sie jetzt anschaue, glaube ich es einfach nicht, dass sie so etwas tun konnte. Immer wenn ich sie anschaue werde ich von Schuldheitsgefühlen überschwemmt, dass ich mich vor solch einer lieblichen Person depressiv zeige. Sie ist sonst immer sehr gut zu mir gewesen. Es gibt Sachen, die werde ich nie verstehen.

Sorry, ich kann nicht weiter. Vielleicht führe ich diesen Eintrag irgendwann sonst mal aus. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.

Danke, wenn ihr ein wenig gelesen habt.

Xiaoye

 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Lieber Xiaoye,

herzlich Willkommen im Liebeskummer-Forum!

Auf welchen Werten basiert denn Eure Beziehung? Habt und lebt ihr dieselben Werte? Ich kenne mich mit ostasiatischer Kultur zu wenig aus. Abgesehen davon können sich eure Werte ja auch durch eure Leben in der Schweiz verändert haben. Bleibt die Frage ob ihr so ähnliche Werte habt, dass diese in einer Beziehung auch eine gemeinsame Basis darstellen. Wie wichtig ist euch Treue? Vertrauen?

Wie geht es Dir heute? Immer noch aggressiv? Durcheinander? Wütend? Sauer? Enttäuscht?

Alles Gute, pitsch