Gebe ich mich zu sehr selbst auf?

dajavar1980

Neuer Benutzer
20. Apr. 2012
4
0
0
44
Hallo in die Runde,

ich verfolge die hier geposteten Foreneinträge schon seit längerer Zeit mit großem Interesse und schätze die offenen und größtenteils fundierten Antworten.

Meine Geschichte ist etwas umfangreicher und auch sicherlich nicht so das ganz Alltägliche:

Meine (m, 31) letzte Beziehung bestand über viereinhalb Jahre lang mit einem Mann (24), die über denselben Zeitraum als Doppelleben getarnt war.

Nachdem vier Jahre vor unserem Kennenlernen im September 2006 sich meine Exfreundin von mir getrennt hatte und ich nach einer über zweijährigen Durststrecke mit professioneller Hilfe wieder mit beiden Beinen im Leben stand, lernte ich meinen Exfreund kennen - buchstäblich Liebe auf den ersten Blick, nur dass der Mensch vor mir eben keine Frau war, sondern ein Mann, und diese Situation war für mich absolut neu, verstörend und anfangs nicht zu handhaben. Die anfänglichen Startschwierigkeiten der Beziehung bestanden vor allem in meinem inneren Druck, die Situation Freunden und Familie nicht darlegen zu können als auch in meiner wiedergewonnen Freiheit und Lebensfreude. Wir einigten uns vorerst auf eine Geheimhaltung der Beziehung, gleichwohl hatte mein Freund damals große Verlustängste, da ich als Mensch auch trotz der wahnsinnigen Verliebtheit meinen Interessen nachging und mir auch bewusst Zeit nahm, Freiräume und Auszeiten neben meinem damals anstrengenden Job für mich zu schaffen.

Die ersten anderthalb Jahre funktionierten jedoch trotz allem aus meiner Sicht sehr gut, wir wohnten wahlweise in meiner oder seiner Wohnung zusammen, sahen uns auch immer regelmäßiger und häufiger und genossen "unser" Leben.

Der erste Bruch kam im April 2008, als ich ihm seinen Wohnungsschlüssel abgeben sollte, da eine Freundin bei ihm übernachten sollte. Ich kam erst in den nächsten Wochen darüber ins Grübeln, als mir der Schlüssel nicht wieder ausgehändigt wurde. Es war uns immer wichtig, Termine und Freiräume gegenseitig abzugleichen, so dass Handy und Kalender - ebenso wie Geldbörse - für den Partner jederzeit zugänglich waren. Drei Wochen nachdem der Haustürschlüssel noch immer nicht wieder zurückgegeben war, wollte ich - während er einkaufen war - zumindest meine Termine der nächsten Wochen in seinen Kalender übertragen und wurde schlichtweg vom Schlag getroffen. In gewisser Regelmäßigkeit fanden sich in seinem Kalender Termineinträge mit einem Männernamen, gefolgt von mehreren Ausrufezeichen und umkreist.

Diese Tatsache ließ sich in meinen Augen auch nicht mehr wohlwollend umdeuten und riss mir dahingehend buchstäblich den Boden unter den Füßen, als mein Freund mir noch am selben Tag nach seiner Rückkehr und meiner Frage, was das solle, eröffnete, die Beziehung sei beendet.

Am nächsten Tag schickte ich mich an, meine restlichen Habseligkeiten abzuholen, doch statt wieder zu gehen lagen wir uns weinend in den Armen, und beteuerten uns, nicht ohne den anderen Leben zu können. Er eröffnete mir in einem langen Brief, was ihn in unserer gemeinsamen Zeit störte und wir besprachen dieses Thema. Das Thema des "Dritten im Bunde" wurde in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnt. Einige Monate später lernte er eine Frau kennen, die ihn augenscheinlich so anbaggerte, dass er sich nicht dagegen sperren konnte, mit ihr zusammenzukommen. Ab diesem Tag führten wir eine Dreiecksbeziehung, von der jedoch zu zwei der Beteiligten wussten... Für mich war diese Siuation - krankhafterweise? - okay, war ich doch glücklich, den Menschen, den ich liebe, weiterhin bei mir zu wissen. Dazu kam die Aussage meines Partners, er habe mit dem Mann aus dem Kalender keinerlei Kontakt mehr und wisse, er wolle ausschließlich mich als Partner.

Ein Dreiviertel Jahr später ging mein Partner für einige Monate ins Ausland, seine Freundin tat dasselbe, in ein anderes Land- die Beziehung der beiden war in dieser Phase mehr durch Unverständnis geprägt als durch Glücklichsein. Für mich bedeutete diese Zeit eine der schönsten unserer Beziehung, wir hatten uns alleine, wenn ich ihn in regemäßigen Abständen von zwei bis drei Wochen besuchte, konnten gemeinsam ein fremdes Land entdecken und unseren Interessen nachgehen. Wenn ich nicht bei ihm sein konnte, telefonierten und chatteten wir über Webcam. Das Ganze lief gut bis zu dem Tag, an dem er mir sein neues Handy vorstellen wollte.. Wie es der Zufall wollte, genügte ein falscher Tastendruck, um eine SMS zu öffnen, deren Inhalt sinngemäß lautet "dann muss ich Dich wohl mal in xxx besuchen kommen ;-)" Der Absender - auf eine nicht vielen Menschen bekannte ausländische Prepaid-Nummer - war der Name aus dem angesprochenen Kalender. Was bleib mir übrig - nach einer durchweinten Nacht flog ich am nächsten Morgen innerlich aufgewühlt nach Hause. Und trotzdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht den Mut, Konsequenzen zu ziehen. Nach seiner Rückkehr aus dem Ausland verstärkten sich jedoch die Probleme. Bei Kleinigkeiten gelang es mir teils nicht mehr, die unverdaute Wahrheit an mich zu halten und schlug öfter vor, er solle doch zu seiner Bekanntschaft verschwinden. Die gesamte Situation, Lüge, die andauernde Beziehung zu einer Frau neben mir und darüberhinaus das Wissen, dass die Gesamtsituation - auch ohne Outing - keine Zukunft hatte, machten mich teils so depressiv, dass ich über Tage in seinem Beisein kein Wort mehr herausbringen konnte. Diese Situation trat auch in einem gemeinsamen Urlaub auf, an deren Ende Funkstille herrschte mit dem Wunsch meines Partners, ich möge erst einmal klarkommen und mich dann wieder melden. Er würde mich lieben aber ich habe ihm den Urlaub versaut und solle meine Launen überdenken.

Schlussendlich gab es in den darauffolgenen Monaten immer wieder Konfliktsituationen, und die einzig wahre Chance, aufzuräumen, wurde nicht genutzt. Nachdem seine Freundin die Segel gestrichen hatte, sprach ich meinen Partner an, ob es nun nicht an der Zeit sei, mit dem Versteckspielen aufzuhören. Ich hatte den Entschluss gefasst, gemeinsamen Freunden mitzuteilen, dass wir ein Paar sind und uns so eine Zukunft zu schaffen. Diesen Weg wollte er jedoch nicht mitgehen, ebensowenig nahm er mein Angebot an, nach Jobwechsel bei mir einzuziehen, mit dem Wunsch, sich wieder ein stärkeres gemeinsames Miteinander aufzubauen. Die letzten anderhalb Jahre bis Mai 2011 führten durch Höhen und Tiefen, schöne Momente einerseits aber eben auch mangels gemeinsamer Gespräche zu Streitereien, die teils in Beendung der Beziehung durch mich mündeten, nach ein paar Tagen jedoch wieder zurückgezogen wurden. Für mich war ein Leben ohne meinen Partner unvorstellbar, Versuche eines klärenden Gespräches, die mich Überwindung kosteten, wurden durch ihn nie aufgegriffen sondern abgeblockt.

Die Tatsache, dass mein Partner mich körperlich nicht mehr begehrte, nicht mehr bei mir übernachtete und auch selten noch freiwillige Umarmungen passierten wurde damit begründet, ich sei eklig mit Bierbauch und Bierbrüsten (81kg bei 184 m), und er würde mich nicht mehr anfassen. In Folge dessen begann ich mich krankhaft verbissenem Sport, was zur Folge hatte dass ich innerhalb von wenigen Monaten 13 kg verloren hatte. Einen positiven Erfolg auf unsere Beziehung hatte dies selbstverständlich nicht, die Quintessenz war der Vorschlag, ich könne mir für Spaß im Bett jemand nebenher suche, er würde mich niemals mehr anfassen. Zeitgleich begann mein Partner damit, bei Facebook neue Freunde zu adden, die in unserer Heimatstadt als homosexuell und einem gewissen Bettspaß nicht abgeneigt bekannt sind. Dies führte meinerseits zu noch mehr Unverständnis und Niedergeschlagenheit und in logischer Konsequenz zu Wut und Streit.

Die Beziehung wurde dann beendet mit der Begründung, durch den dauernden Streit mache man sich gegenseitig kaputt, wenn wir es als Paar nicht könnten, brauche er mich als seinen besten Freund. Ich habe dieser Tatsache ein Dreivierteljahr Glauben schenken wollen, vier Monate nach der Trennung bekam ich in den Urlaub noch mehrere Emails mit Bildanhang, die den Eindruck erwecken konnten, wir seien nie auseinander gewesen und immer noch glücklich. Nach meiner Rückkehr war hiervon jedoch wieder nichts mehr zu spüren. Angedeutete Küsse in der Küche von gemeinsamen Freunden konnte ich glücklicherweise ignorieren, jedoch war ich noch am selben Abend todtraurig darüber, vielleicht die letzte Chance verpasst zu haben, wieder zusammenzukommen.

Die Hoffnung auf Besserung hat sich seit Anfang Februar zerschlagen mit dem Wissen, dass es in seinem Leben eine neue Person gibt. Dies fand ich über zwei Klicks bei Facebook heraus, er selbst schrieb mir einige Tage vorher in der vermutlichen "Kennenlernphase" noch Emails, aus denen die Situation nicht herauszulesen war.

Seit diesem Tag sitze ich in einem tiefen Loch, aus dem ich auch derzeit schwer herauskomme.

Für mich selbst habe ich den Weg gewählt, meine Freunde und Familie darüber aufzuklären, was in den letzten Jahren passiert ist und aus welchen Gründen auch ich mich ihnen gegenüber nicht immer nachvollziehbar verhalten habe. Dieser offene Umgang mit meiner derzeitigen Situation (zumindest mal nicht stockhetero) stieß durchgehend auf positive Resonanz, was mich in den letzten Wochen selbstverständlich auch ein gutes Stück weit zuversichtlich gestimmt hat.

Mein Problem liegt darin, dass ich mich dabei ertappe, gerade das letzte Dreivierteljahr "Freundschaft" immer dahingehend zu durchdenken, was sich gegebenenfalls positiv hätte entwickeln können, wenn einfach gewisse Dinge anders gelaufen wären. Gleichwohl weiß ich, dass der Konjunktiv in diesem Zusammenhang keinen Sinn macht. Darüberhinaus hat mein Ex-Partner mehrfach die Möglichkeit genutzt, wieder Kontakt zu mir aufzunehmen, obwohl ich mir vorbehalten hatte, mich erst einmal aus allen Dingen seines Lebens auszuklinken und ihn auch im Social Media-Bereich dahingehend zu blockieren, dass er von meiner Entwicklung nichts mehr mitbekommt. Dies ging sogar soweit, mir seinen Hund (der seit Geburt von uns beiden aufgezogen wurde) vorzuenthalten, nach dem Motto "Wenn du mich aus Deinem Leben streichst bekommst Du den Hund nicht mehr". Vorher stand außer Frage, dass ich das Tier weiterhin bei seiner Mutter abholen kann.

Für mich ist diese Situation dahingehend schwierig, da ich mir zwar bewusst bin, dass totaler Kontaktabbruch und vielleicht das Abfinden, einen Menschen dauerhaft verloren zu haben gesünder ist, ich gleichzeitig aber viel in seine Aussagen von vor einigen Wochen, dass ich ihm fehle, sowie seine Kontaktversuche (Machtspiele?) hineininterpretiere, weil mir dieser Mensch trotz allem fehlt.

Seine Familie weiß weiterhin nichts von unserer Beziehung, ebenso wenig erzählte er unseren gemeinsamen Freunden bislang davon, und auch von seinem neuen Partner wissen nur wenige..

Bin ich mir einfach selbst zu wenig Wert? Ich drehe mich seit Wochen und Monaten im Kreis mit dem Gedanken, dass vielleicht ein Stück weit mehr Verständnis etwas hätte bringen können...

Eine Gesamteinschätzung ist hierzu sicher schwierig, weil auch die Meinung der Gegenseite fehlt, aber ich bin um jeden Kommentar dankbar, der mich vielleicht der Vernunft ein Stück weit näher bringt.

 
Ohjee, was soll man da noch sagen? Eigentlich hast du es ja schon selber erkannt. Du hast dich in deiner Beziehung immer klein gemacht, dir immer alles gefallen lassen, bis er dich nicht nur nicht mehr geliebt hat, sondern auch den Respekt vor dir verloren hat.

Hast du überhaupt noch Respekt vor dir selber?

Wie kannst du es ihm zum Vorwurf machen,d ass er sich so verhalten hat wie er es tat, wenn du mit 31 auch noch immer kein Coming Out hattest? Das zeigt ja auch, dass du nicht zu dir selber stehst.

In meinen Augen solltest du ihn abhaken, aber deine Lehre aus der Geschichte ziehen: Es wird dringend Zeit, dass du für dich einstehst. Dass du offen der bist, der du wirklich bist. Keine Versteckspiele mehr. Kein Hinterherspionieren. Keine Zwangsdiät, wenn von anderen auferlegt. Etc. Etc.

sei einfach ehrlich mit dir und deinen Mitmenschen, dann erfährst du vielleicht den Rückhalt, den du brauchst.

Jetzt kann ihn dir keiner geben, wenn du noch nicht mal selber weißt, wo du stehst.

 
Hallo!Dramatische Geschichte.

Ich denke, du stehst wirklich am Ende der Beziehung und solltest abschliessen.

Ich sehe es so, dass du am Anfang noch du selbst geblieben bist mit auch anderen Menschen, Aktivitäten als nur um die Beziehung zu kreisen...dann immer mehr Symbiose, Abhänigkeiten, Unklarheiten, Kompromisse..du hast selbst schon von den Verlustängsten gesprochen, vielleicht haben die euch in so einen Teufelskreis geführt.

Du hast viel Neues über dich erkannt, zum Beenden und Abtrauern gehört auch, sich zu fragen, ob man was hätte besser machen können. Nein, es war so, wie es war.

Toll finde ich in deiner Situation die Positivität von deinem Umfeld, das ist nicht selbstverständlich und eine neue Ausgangsbasis für dich, offen und ehrlich neu anzufangen.

Dabei würde ich auch versuchen, Fragen zu klären, wie du dir so eine Beziehung wünschst, nur eine Zweierbeziehung oder eine offene, oder...

Wahrscheinlich brauchst du viel Zeit, das Ganze zu verarbeiten, viel Kraft und Unterstützung wünsche ich dir dafür!