Zweierlei Gesichter

Anissa

Benutzer
22. Feb. 2009
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Hallo liebe Leute

Nachdem ich nun schon eine Weile bei euch mitgelesen habe, ist in mir der Entschluss gereift, euch mein Problem zu schildern. Vielleicht vorab ein paar wenige Informationen zu mir, das beugt vielleicht eventuellen Fragen vor. Ich habe einige wunderbare Beziehungen führen dürfen in meinem bisherigen Leben, auch endeten sie in Eintracht und Frieden. Man einigte sich auf Freundschaft, wofür einiges zu tun war. Auf beiden Seiten.

Ich habe mich immer als sehr offener und mitfühlender Mensch begriffen, der offen mit Problemen umgeht und auch sehr problemlösungsorientiert denkt.

Vor einem dreiviertel Jahr nun bin ich an einem Mann so sehr gescheitert, dass es mir heute noch die Luft nimmt. Gleichzeitig muss ich mir eingestehen, dass ich von dieser Sache nicht loskomme, zu viel ist da passiert und zu tief sind die Gräben die hier aufgerissen wurden.

Ich lernte ihn kennen, wohl eher beiläufig und uninteressiert. Es war eine Begegnung, die in ihrer Flüchtigkeit gut und gerne als höchstens beginnende Freundschaft einzuordnen gewesen wäre.

Dazu muss ich auch gleich sagen, dass wir eine ziemliche Distanz zwischen uns haben und somit wurde das von mir als eher befremdlich eingeordnet.

Er machte mir Komplimente und zwar jene der etwas intelligenteren Art und schmeichelte mir gehörig, ich war amüsiert. Nach wenigen Stunden, die wir uns damals kannten, spürte ich, dass ich einem besonderen Menschen begegnet war. Wir sahen uns nicht lange und ich weiß nicht ob ihr das mal empfunden habt, wenn nun zwar nicht gleich die Schmetterlinge im Bauch herumflattern, aber so ein Grundton herrscht im Gespräch, dass man erstmal ein wenig irritiert ist. Positiv irritiert, meine ich.

Dann fuhr er berufsbedingt wieder nach Hause. Wir sicherten uns zu in Kontakt zu bleiben. Anfänglich war das eher stockend. Wir erzählten uns Geschichten und redeten über dies und jenes. Was mich zu diesem Zeitpunkt irritierte war seine manchmal aufkeimende Vertraulichkeit, die dennoch aber jeder Grundlage entbehrte. Er wandte sich mir in einer Weise zu, die ich vorher im Gespräch mit ihm nicht erkannte hatte, oder die nicht vorhanden war.

Mehr und mehr vertieften wir unseren Kontakt. Es kam bei mir zu einer seltsamen Wandlung. Ich hatte das Gefühl ihm sehr nahe zu sein und stellte dann fest, dass ich mich schlicht in ihn verliebt habe. Das versuchte ich auch ihm in Worten nahe zu bringen. Es schien ihm zu gefallen. Er gestand seine Gefühle für mich ebenfalls ein und so begann eine sehr spannende Zeit wo wir uns immer näher kamen.

Bis zu jenem Punkt, wo er ein völlig seltsames und auch in keinster Weise zu ihm passendes Verhalten an den Tag legte. Es war für mich als hätte ich einen anderen Menschen vor mir. Wir sahen uns, sofern das unsere Zeit erlaubte, relativ regelmäßig zweimal im Monat. War er bei mir, war er freundlich und lieb aber keineswegs der, als der er mir in unserer textbasierten Unterhaltung erschien. Er wirkte auf mich, wenn er hier war, wie abgekühlt. Fast freundschaftlich. Sagte aber dennoch Sachen, die man einer Frau sagt, die man liebt.

Es irritierte mich sehr und wurde zu einem immer größeren Problem. Mein Freundeskreis trieb Scherze mit dieser Sache, sie meinten, vielleicht sei er ja zu Hause jemand völlig anderer, oder müsse sich einem Diktat unterwerfen auf das ich keinen Einfluss habe, oder von dem ich nichts wisse.

Wenn ich ihn deswegen zur Rede stellte, war es immer eine große Sache und ich hatte das Gefühl er wisse gar nicht wovon ich spräche.

Nun kam ich an den Punkt, wo ich anfing mich selbst für verrückt zu halten.

Und versuchte mich zu distanzieren, weil ich aus dieser Sache nicht schlau wurde.

Vielleicht sollte ich anmerken, dass ich zu jenen Frauen gehöre, die sich gerne auf ihr Bauchgefühl verlassen. Und dies sagte mir, dass hier ein Maximum an Verwirrung und Irritation für mich da sei.

Meine Frage dich ich mir stellte, kann es sein, dass ein Mensch zwei verschiedene Persönlichkeiten in sich trägt, die in unterschiedlichen Szenarien zum Tragen kommen?

Und je mehr mich diese Frage quälte, desto unsicherer und nervöser wurde ich.

Dann habe ich das nach einem halben Jahr beendet, nein vielmehr auf Eis gelegt, wie ich ihm zu versichern versuchte, um ihm Zeit zu geben, sein Verhalten zu überdenken.

Immer wieder meldete er sich bei mir und verschlimmerte die Situation für mich dabei wesentlich, da er in diesen Momenten so verletzbar, ehrlich und emotional mir nahe schien.

Und das ist nun der Stand der Dinge. So sitze ich da, weit weg von dem Mann, der mir alles bedeutet hat und wenn ich ehrlich bin mich nicht los lässt und verstehe die Welt nicht mehr.

Vorerst mal danke fürs Lesen und euer Interesse, ich würde mich freuen, wenn einer der anwesenden Herren mir erklären könnte, wie solches Verhalten zustande kommt.

Anissa

 
Liebe Anissa,

ich bin kein Mann, dennoch möchte ich dir antworten.

Dein Bauch ist verwirrt. Das ist wesentlich! Wenn du dich bisher auf deinen Bauch verlassen konntest, dann solltest du weiter auf ihn hören. Warum ist dein Bauch verwirrt? Weil hier einiges ungereimt, ja ver-wirrt ist! Um ein klareres Gefühl zu bekommen, braucht es eine Ent-wirrung - wenn du dafür noch Kraft und Nerven hast.

Warst du auch regelmäßig bei ihm?

Wie ist es bei ihm? Ist er da auch distanzierter als in Wort und Schrift?

Was sagt er denn auf deine Irritation - auf den Unterschied zwischen Schrift und Person?

Wie groß ist die räumliche Distanz zwischen euch?

Was weißt du über ihn und seine Vergangenheit?

Wie ist er im Kreise seiner Freunde? Kennst du Freunde von ihm?

Es gibt Menschen, die sich schriftlich leichter öffnen können.

Es gibt Menschen, die für das Schriftliche Helferlein haben.

Es gibt Menschen, die je nach Umgebung unterschiedliche Eigenschaften an den Tag legen.

Ich wünsche dir Klarheit,

pitsch

 
Liebe Pitsch

vielen Dank für deine Anregung. Da du eine Frau bist, wirst du die Sache mit dem Bauchgefühl gut verstanden haben, wie ich ja auch aus deinen Zeilen lesen konnte. Das Problem bei der Sache war, dass ich es gespürt habe, aber nicht darauf vertraut hatte.

Zur Klarstellung, weil ich das leider in meinem überlangen Text vollkommen vergessen habe, ein paar Antworten.

Nein, ich war nie bei ihm. Warum nicht. Er wollte das nicht. Begründete das nicht weiter. Als ich ihn eines Tages verdächtigte ein doppeltes Spiel zu treiben, rastete er vollkommen aus.

Wenn ich ihn auf diese Diskrepanz ansprach, reagierte er immer sehr zurückhaltend. Er könne mir nicht mehr geben. Wandte ich ein, dass ich verstehen würde, wenn er echte Zuneigung nur in Worten ausdrücken könne, brüskierte er sich über meine Vorhaltung und versuchte sich noch mehr zu distanzieren. Natürlich stockte mir hier der Atem und ich sah mich von Mal zu Mal hilfloser mit dem was ich empfand. Ich wagte es nicht mehr, es anzusprechen.

Er hat mir viel über sich erzählt. Seine Vergangenheit scheint ein wenig turbulent gewesen zu sein, vor allem im Hinblick auf Frauen. Viele Beziehungen, oberflächliche Sachen, die dann auch an Kleinigkeiten gescheitert sind. Natürlich kann ich das wenig beurteilen, ich kannte ja nur eine Seite der Geschichten.

Und da ich nie bei ihm war, kenne ich keine Freunde von ihm. Aber er scheint ein inniges Verhältnis zu ihnen zu pflegen. Wenige aber sehr gute Freunde, würde man das wohl beschreiben. Aber auch hier wieder, das kann ich schwer beurteilen, da ich das alles ja nur aus seinen Worten weiß.

Das mit dem schriftlichen Öffnen kenne ich. Ich habe jahrelang in einer Gruppe mitgearbeitet, die sich um die psychohygienischen Hilfestellungen, die über das Internet biet bar sind, kümmerte und pflegte. Aus beruflicher Hinsicht.

Genau deswegen gingen bei mir die Gefühle im Bauch durch.

Nachdem die dazugehörigen Ängste im Kopf formuliert waren.

Helferlein für das Schriftliche? Das muss mir mal einer erklären.

Die Umgebung Pitsch, kann es wenig sein, denke ich. Ich habe immer versucht es so entspannt wie möglich zu halten.

Es ist so schwer damit abzuschließen und nicht zu wissen, was eigentlich passiert ist. So geht es mir jedenfalls.

Verzweifelte Grüße

Anissa

 
Liebe Anissa,

da kann ich deinem Bauchgefühl leider nur Recht geben.

Er wollte dich nicht bei sich zu Hause haben? Seine ausgewählten guten Freunde hatten kein Interesse daran, dich kennenzulernen?

Sorry, aber das stinkt gewaltig! In so einer Situation war mein Bauch auch mal sehr verwirrt. Mein Verstand wollte nicht wahrhaben was doch auf der Hand lag. Er führte ein Doppelleben und hat dafür ein Netz aus Geschichten gesponnen - alle mit einem Kern Wahrheit, letztlich doch knapp dran vorbei. Das ist meine persönliche Erfahrung - das muss auf eure Situation nicht übertragbar sein.

Was bleibt? Ich halte Offenheit für eine wesentliche Beziehungsgrundlage. Das bedeutet nicht, dass ich alles erzählen muss. Es bedeutet, dass der Partner aber kein großes Rätsel bleibt. Kleine Geheimnisse machen interessant, ja. Das geht aber weit darüber hinaus.

Was genau nimmt dir denn noch heute die Luft, wenn du daran denkst?

Liebe Grüße,

pitsch

 
Liebe Pitsch,

herzlichen Dank dass du dir so viel Mühe machst.

Leider habe ich nur sehr kurz Zeit um zu antworten, da ich mit Arbeit eingedeckt wurde und gleich los muss.

Abends werde ich versuchen näher darauf einzugehen.

Aber ich kann dir kurz sagen, was mir die Luft nimmt. Heute noch.

Das Gefühl den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren zu haben. Niemand, absolut niemand hatte jemals so einen Zugang zu mir. Und leider habe ich das Gefühl, dass es meine Schuld war, ihn verloren zu haben. Das obwohl ich das "Ende" an und für sich vage ausgesprochen habe, durchblicken habe lassen, dass ich darin vertrauen könne, wenn sich etwas ändern würde.

vorerst

liebe Grüße

Anissa

 
Liebe Anissa,

wenn einem die Luft weg bleibt, dann ist es entweder ein Schock oder Trauer.

Eigentlich kennst du die Antwort weshalb dir die Luft wegbleibt doch schon sehr gut. Du hast ihn sehr nah an dich herangelassen, ihm Vertrauen geschenkt wie noch keinem anderen. Er war leider nicht in der Lage, dieses Geschenk anzunehmen bzw. so damit umzugehen wie du es dir gewünscht hättest, es vielleicht zu erwidern.

Hat er vielleicht sogar umso mehr dicht gemacht je mehr du dich ihm geöffnet hast?

Es ist okay, wenn du um diese Beziehung, die nie so richtig in Gang kam, trauerst! Erlaube es dir selbst. Es ist auch okay, dass dich die Enttäuschung schockiert, dass er verschlossen war während du dich geöffnet hast. Vielleicht hat er aber auch nur wieder das Gleichgewicht hergestellt?

Liebe Grüße,

pitsch