Ich erwache. Es ist kalt. Kalt und dunkel. In der Ferne ein Licht. Vielleicht ist da jemand.
Ich stehe auf und gehe der Hoffnung entgegen. Das Eis unter den Füssen wird dünner, und so stehe ich plötzlich vor einem grossen See. Das Wasser leise und pechschwarz. Das Licht leuchtet hell am gegenüberliegenden Ufer. Es spiegelt sich in den leichten Unruhen der Wasseroberfläche. Für einmal wird es mir einfach gemacht: Ein Boot. Ich steige ein und nehme das Paddel zur Hand. Die Reise beginnt.
Ich paddle und paddle. Das Licht scheint nicht näher kommen zu wollen. Wie lässt sich das erklären? Ein Blick zurück, dahin, wo ich herkam. Die Wellen, die sich trichterförmig vom Zentrum des Hecks fortbewegen verhalten sich nicht unnatürlich. Mit ein paar Differentialgleichungen lässt es sich wohl erklären. Also ist doch alles bestens: Ich komme vorwärts. Nur das Licht kommt nicht näher. Ein Unbehagen macht sich bemerkbar. Ich paddle und paddle. Ist es ein Feuer? Oder ein Leuchtturm? Ich kann es nicht sagen, denn es ist unterdessen neblig geworden. Und noch kälter.
Ist das Wasser an dieser Stelle eigentlich tief? Bin ich noch immer mitten auf See? Ein Blick über den Bootsrand soll Gewissheit bringen. Aber da ist nichts zu machen. Zu dunkel ist es. Und überhaupt, wo ist mein Spiegelbild? Die nicht erklärbaren Beobachtungen häufen sich. Doch da... irgendwo tief unten scheint sich etwas zu tun. Jetzt sehe ich es: Zahlen. Weisse Zahlen, die sich langsam manifestieren. Sie schwimmen und formen sich. Was wollen sie mir sagen? Was zum Teufel geschieht hier? Ich blicke wieder auf. Wo ist das Licht? Da! Gott sei Dank.
Es geht weiter. Ich fange an, Stimmen zu hören. Menschen, die reden. Überall um mich herum. Doch ich sehe nichts, weit und breit nichts. Es fühlt sich an, als wäre ich inmitten einer Party. Die Gläser klirren. Der Nebel bewegt sich zum Rhythmus einer verzerrten Musik, deren tiefsten Töne zu mir vordringen. Und doch ist da nichts. Nur endlose Distanz um mich herum. Ich schreie, doch da ist kein Echo. Die Geräusche legen sich, die Musik aber bleibt. Jetzt spielt eine Violine. Scheinbar nur für mich. Langsam und melancholisch. Das Licht flackert. Nein! Es darf nicht ausgehen. Sonst bin ich verloren.
Ich greife zum Paddel und gebe Gas. Komm doch endlich näher! Diese Kälte ist unerträglich. Vielleicht wärmt die verzweifelte Bewegung des Ruderschlags. Endlich verschwindet der Nebel und die Sicht wird wieder klar. Der Sternenhimmel zeigt sich. Ich brauche eine Pause und lege mich auf den Rücken. Wenigstens einen Moment lang die Sterne geniessen. Doch das sind keine Sterne. Es sind Formeln. Der ganze Himmel ist voll von ihnen. Da, wo ich die Sternenbilder erwartete, sind jetzt Problemstellungen zu sehen. Sie erdrücken mich. Ich darf nicht rasten, ich muss weiter. Habe ich bereits den Verstand verloren?
Jemand ruft meinen Namen. Das Licht wird grösser und grösser. Als ob es mich in den Arm nehmen will. Die Stimme flüstert mir etwas ins Ohr. Plötzlich ist es warm. Angenehm warm. Und dann bin ich aufgewacht. Es ist kalt. Kalt und dunkel. Absolute Stille. Ein kleines Licht in der Ferne. Es flackert drohend. Mein Blick noch immer gen Himmel gerichtet. Keine Formeln mehr. Jetzt sind es lauter Nullen und Einsen.
Ich springe auf, nehme meine letzte Kraft zusammen und rudere um mein Leben. Ich kann nichts mehr glauben. Die Realität, die sich mir offenbart, verhält sich nicht nach den Regeln der Logik. Ein Wind weht mir frontal ins Gesicht. Als ob jemand mich von meinem Weg abhalten will. Eisig kalt und laut schreiend verpasst er mir eine Ohrfeige nach der anderen. Die Wellen türmen sich neben mir. Vor mir. Hinter mir. Riesige Funktionsgraphen, die nur darauf warten, von mir integriert zu werden. Würde mich das in Sicherheit bringen? Könnte ich meine Widersacher damit in die Flucht schlagen? Und dann reite ich selber auf einer Welle. Auf der grössten von allen. Ich fühle mich wie ein Punkt auf einer stetigen Funktion. Ich erklimme geradewegs die y-Achse. Mein Tempo ist furchterregend. Das Licht scheint unbeeindruckt still zu stehen.
Ich rase geradewegs in Richtung einer undefinierten Stelle. Muss wohl irgendwo bei x = 42 sein. So viele Meilen habe ich schon hinter mir. Und tatsächlich: Ich beginne zu fallen. Geradewegs nach unten. Das Wasser ebnet mir den Weg. Der rote Teppich runter in die Hölle wird vor meinen Füssen ausgerollt. Ich falle in Richtung negative Unendlichkeit. Ich fühle keine Angst. Keine Panik. Mein Herz schon lange still. Ich bin unsichtbar.
Ich sehe den Teufel. Er steht direkt vor mir. Und jetzt weiss ich, wie er aussieht: Da ist nichts. Es ist nicht mehr kalt. Es ist nicht mehr dunkel. Da sind keine Zahlen mehr. Und auch kein Licht mehr. Selbst ich bin nicht mehr. Ich war nie. Und jetzt sehe ich meine Unsichtbarkeit klarer als je zuvor. Und warum bin ich mir dem noch bewusst? Da sind noch einige Elektronen in meinem Gehirn, die sich bewegen. Viele davon. Sehr schnell sind sie. Ein Gehirn, schwebend im Nichts. Eine Raserei physikalischer Prozesse, die mich, mein Bewusstsein, formen. Und die mich in Illusion leben lassen. Eine gefühlslose Illusion.
Ein Blinder, ein Tauber und ein Stummer, dessen Herz rausgerissen wurde. Und dessen Gehirn versucht, es wieder herzustellen. Ein paar verrückte Elektronen im Kopf. Die letzte aller Erkenntnisse.
NicM
Ich stehe auf und gehe der Hoffnung entgegen. Das Eis unter den Füssen wird dünner, und so stehe ich plötzlich vor einem grossen See. Das Wasser leise und pechschwarz. Das Licht leuchtet hell am gegenüberliegenden Ufer. Es spiegelt sich in den leichten Unruhen der Wasseroberfläche. Für einmal wird es mir einfach gemacht: Ein Boot. Ich steige ein und nehme das Paddel zur Hand. Die Reise beginnt.
Ich paddle und paddle. Das Licht scheint nicht näher kommen zu wollen. Wie lässt sich das erklären? Ein Blick zurück, dahin, wo ich herkam. Die Wellen, die sich trichterförmig vom Zentrum des Hecks fortbewegen verhalten sich nicht unnatürlich. Mit ein paar Differentialgleichungen lässt es sich wohl erklären. Also ist doch alles bestens: Ich komme vorwärts. Nur das Licht kommt nicht näher. Ein Unbehagen macht sich bemerkbar. Ich paddle und paddle. Ist es ein Feuer? Oder ein Leuchtturm? Ich kann es nicht sagen, denn es ist unterdessen neblig geworden. Und noch kälter.
Ist das Wasser an dieser Stelle eigentlich tief? Bin ich noch immer mitten auf See? Ein Blick über den Bootsrand soll Gewissheit bringen. Aber da ist nichts zu machen. Zu dunkel ist es. Und überhaupt, wo ist mein Spiegelbild? Die nicht erklärbaren Beobachtungen häufen sich. Doch da... irgendwo tief unten scheint sich etwas zu tun. Jetzt sehe ich es: Zahlen. Weisse Zahlen, die sich langsam manifestieren. Sie schwimmen und formen sich. Was wollen sie mir sagen? Was zum Teufel geschieht hier? Ich blicke wieder auf. Wo ist das Licht? Da! Gott sei Dank.
Es geht weiter. Ich fange an, Stimmen zu hören. Menschen, die reden. Überall um mich herum. Doch ich sehe nichts, weit und breit nichts. Es fühlt sich an, als wäre ich inmitten einer Party. Die Gläser klirren. Der Nebel bewegt sich zum Rhythmus einer verzerrten Musik, deren tiefsten Töne zu mir vordringen. Und doch ist da nichts. Nur endlose Distanz um mich herum. Ich schreie, doch da ist kein Echo. Die Geräusche legen sich, die Musik aber bleibt. Jetzt spielt eine Violine. Scheinbar nur für mich. Langsam und melancholisch. Das Licht flackert. Nein! Es darf nicht ausgehen. Sonst bin ich verloren.
Ich greife zum Paddel und gebe Gas. Komm doch endlich näher! Diese Kälte ist unerträglich. Vielleicht wärmt die verzweifelte Bewegung des Ruderschlags. Endlich verschwindet der Nebel und die Sicht wird wieder klar. Der Sternenhimmel zeigt sich. Ich brauche eine Pause und lege mich auf den Rücken. Wenigstens einen Moment lang die Sterne geniessen. Doch das sind keine Sterne. Es sind Formeln. Der ganze Himmel ist voll von ihnen. Da, wo ich die Sternenbilder erwartete, sind jetzt Problemstellungen zu sehen. Sie erdrücken mich. Ich darf nicht rasten, ich muss weiter. Habe ich bereits den Verstand verloren?
Jemand ruft meinen Namen. Das Licht wird grösser und grösser. Als ob es mich in den Arm nehmen will. Die Stimme flüstert mir etwas ins Ohr. Plötzlich ist es warm. Angenehm warm. Und dann bin ich aufgewacht. Es ist kalt. Kalt und dunkel. Absolute Stille. Ein kleines Licht in der Ferne. Es flackert drohend. Mein Blick noch immer gen Himmel gerichtet. Keine Formeln mehr. Jetzt sind es lauter Nullen und Einsen.
Ich springe auf, nehme meine letzte Kraft zusammen und rudere um mein Leben. Ich kann nichts mehr glauben. Die Realität, die sich mir offenbart, verhält sich nicht nach den Regeln der Logik. Ein Wind weht mir frontal ins Gesicht. Als ob jemand mich von meinem Weg abhalten will. Eisig kalt und laut schreiend verpasst er mir eine Ohrfeige nach der anderen. Die Wellen türmen sich neben mir. Vor mir. Hinter mir. Riesige Funktionsgraphen, die nur darauf warten, von mir integriert zu werden. Würde mich das in Sicherheit bringen? Könnte ich meine Widersacher damit in die Flucht schlagen? Und dann reite ich selber auf einer Welle. Auf der grössten von allen. Ich fühle mich wie ein Punkt auf einer stetigen Funktion. Ich erklimme geradewegs die y-Achse. Mein Tempo ist furchterregend. Das Licht scheint unbeeindruckt still zu stehen.
Ich rase geradewegs in Richtung einer undefinierten Stelle. Muss wohl irgendwo bei x = 42 sein. So viele Meilen habe ich schon hinter mir. Und tatsächlich: Ich beginne zu fallen. Geradewegs nach unten. Das Wasser ebnet mir den Weg. Der rote Teppich runter in die Hölle wird vor meinen Füssen ausgerollt. Ich falle in Richtung negative Unendlichkeit. Ich fühle keine Angst. Keine Panik. Mein Herz schon lange still. Ich bin unsichtbar.
Ich sehe den Teufel. Er steht direkt vor mir. Und jetzt weiss ich, wie er aussieht: Da ist nichts. Es ist nicht mehr kalt. Es ist nicht mehr dunkel. Da sind keine Zahlen mehr. Und auch kein Licht mehr. Selbst ich bin nicht mehr. Ich war nie. Und jetzt sehe ich meine Unsichtbarkeit klarer als je zuvor. Und warum bin ich mir dem noch bewusst? Da sind noch einige Elektronen in meinem Gehirn, die sich bewegen. Viele davon. Sehr schnell sind sie. Ein Gehirn, schwebend im Nichts. Eine Raserei physikalischer Prozesse, die mich, mein Bewusstsein, formen. Und die mich in Illusion leben lassen. Eine gefühlslose Illusion.
Ein Blinder, ein Tauber und ein Stummer, dessen Herz rausgerissen wurde. Und dessen Gehirn versucht, es wieder herzustellen. Ein paar verrückte Elektronen im Kopf. Die letzte aller Erkenntnisse.
NicM