Ich weiß nicht, ob ich Dich ganz verstehe.
Ein Abschied kann ja verschieden aussehen. Mir geht es um Ungesagtes.
Wenn man mit schlechten Gefühlen oder Streit auseinander geht, ist das der worst case in einer sonst guten Beziehung / Freundschaft / familiären Bindung.
Wenn man dann nichts mehr (er-)klären kann, ist es schlimm.
Als Beispiele (ich habe viele ...): Mein Opa starb zwei Wochen nach meiner Jugendweihe. Ich sehe ihn und uns heute noch winkend, als der Zug mit ihm ausfährt ... Eine schöne Erinnerung. Ich hätte ihm gern noch gesagt, was ich bedauere. In dem (meinem damaligen) Alter ist man zickig, und ich war ungerecht zu ihm ...
Aber alles in allem war alles gut mit uns, denke ich.
Meine Mutti sehe ich heute noch stehen, als sie mir nachschaut, während ich wegfahre ... So gern hätte ich ihr noch gesagt, wie sehr ich sie liebe. Mir mehr Zeit genommen für sie ...
Heute sage ich oft in Gedanken zu ihr: Jetzt weiß ich, wie Du das gesehen hast / gemeint hast / Dich gefühlt hast.
Als sie im Koma lag, habe ich sie tgl besucht, ihr vorgelesen. Als es zu Ende ging, um Verzeihung gebeten und ihr verziehen. Alles, was sich aufgestaut hat im Leben. Aber sie konnte eben nicht mehr antworten / reagieren.
Mein Vati - da war noch so viel offen, ungeklärt. Auch er wollte reden, das habe ich allerdings erst danach erfahren ... Als Kinder haben wir die Scheidung nie wirklich aufgearbeitet, und er ging ganz schnell.
Wir hatten und haben noch so viele Fragen über "damals", denn das hat unsere gesamte Kindheit überschattet ... Unsere Entwicklung.
DAS ist traumatisch. Keine Aufarbeitung, keine Versöhnung, keine Geste des Verständnisses. Im Geben, aber auch im Empfangen. Vielleicht sogar im Streit ...
Mein Freund hatte mir ja nun nur diese Nachricht geschickt, und seitdem haben wir uns nicht mehr gesprochen.
Angeblich hatte er Interesse an einem Gespräch, aber er ist nicht auf mich zugekommen. Ich selbst hatte einen Brief im Konzept, aber ihn sehen, das hätte ich nicht ertragen. Er ist die Liebe meines Lebens. Er sagte einmal, wenn wir es verkacken und uns mit 80 nochmal treffen, sind unsere Gefühle wie immer ... So war es ja auch, nachdem wir uns nach über 20 Jahren wieder begegnet sind. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde ...
Er war immer mit all seinen Ex' noch befreundet
, aber für mich kam das nicht in Frage, weil ich es nicht ausgehalten hätte, ihn zu sehen, und nur als "Freund" betrachten zu dürfen. Das habe ich früher auf Arbeit schon kaum ausgehalten.
Ich kann und konnte diese Liebe nie erklären, er auch nicht, aber dennoch haben wir unterschiedliche Auffassungen von "Liebe" gehabt. Deshalb hat er sich ja auch getrennt. Ich hätte das nie getan, denn ich hatte ja meine Liebe, ich war mit meiner Liebe zusammen, auch wenn viel nicht gepaßt hat, aber das verspricht die Liebe auch nicht. Ich hatte die Liebe meines Lebens an meiner Seite, was kann es besseres geben? Und bedingungslos lieben heißt eben, ohne Bedingung lieben. Ohne Bedingung, dies oder jenes zu erfüllen ...
Es ist nicht erklärbar, was auch immer das zwischen uns war, aber es war und ist einzigartig.
"Es ist, was es ist ...".
Das alles hätte ich ihm gern gesagt bzw geschrieben, natürlich auch meinen Schmerz und mein Unverständnis über sein Verhalten zur Trennung. Ich hätte ihn auch gern nochmal in den Arm genommen, auch bzw trotz neuer "Schnickse". Als wir uns vor inzwischen 14 Jahren wiedersahen, bin ich auf ihn zugestürzt und wir lagen uns in den Armen. Da dachte ich dann, sorry, falls jetzt eine Frau auftaucht, die mit ihm zusammen ist, das muss sie ertragen.
Ein Abschied ist nicht immer verbunden mit dem Wissen, man sieht sich nie wieder. Das meinte ich nicht. Sondern das alles, was schwer auf dem Herzen liegt, gesagt ist. Man "im Guten" Tschüss sagt, immer in der Erwartung, sich wieder zu sehen. Manchmal kommt dann der Tod dazwischen, aber im Grunde war alles wesentliche gesagt.
Und bei uns war nichts gesagt. Bei uns war viel zu viel offen durch diese Trennung aus der Ferne.
All meine Gefühle und Fragen waren ungeklärt.
Vermutlich hätte er, wie Du schon sagst, nicht das gesagt, was ich hätte hören wollen. Das ist mir auch klar. Aber ich denke, ich hätte dennoch mit der Zeit ein paar Dinge besser verstanden, mit ihnen umgehen können. Wichtig wäre mir aber auch gewesen, dass
ich ihm meinen Standpunkt dargestellt hätte, ihm gesagt hätte, wie verletzt ich bin, und dennoch voller Liebe zu ihm ...
Ich hätte ja gar nicht gewusst, dass er so nahe am Rande des Todes steht, aber das, was uns 40 Jahre verbunden hat, das hätte es erklärt, warum ich ihn in seiner Krankheit gern besucht hätte. Ich bin mir sicher, er hätte das auch verstanden ( wenn auch nicht erwidert gefühlsmäßig). Er war ja schließlich neu vergeben.
Als er nach seinem schrecklichen Entschluß im Koma lag, hat aber auch niemand etwas zu mir gesagt.
Das Abschied-nehmen-wollen verstehen viele Menschen nicht. Weil sie, so vermute ich, nicht in solche Situationen geraten. Noch was erklären wollen, noch einmal Freundschaft / Zuneigung / Liebe bekräftigen wollen. Bei manchen ist vielleicht tatsächlich soweit alles gesagt, dass sie in Frieden leben können.
Das häufigste Argument, denjenigen so in Erinnerung behalten zu wollen, wie sie ihn kennen, bringen die Menschen meist hervor. Auch ich habe das bei meinem Schwager z. Bsp. damals getan. Ich konnte ihn nicht tot sehen ...
Aber darum geht es (mir) gar nicht. Es geht nicht darum, diesen Menschen noch einmal
ansehen zu wollen, vielleicht sehen zu wollen, wie er zum Schluss aussah ...
Nein, das ist es überhaupt nicht.
Es ist das, was man gern noch gesagt hätte, irgendwann. Was man fühlt(e), was einen bewegt hat.
Ich habe es ihm gesagt, als ich Abschied genommen habe, als er längst tot war. Es war so schwer. Und ja, sein Anblick war schlimm für mich, weil die Tat natürlich Spuren hinterlassen hat. Und ich war entsetzt, wieso im KH niemand
... ach, so viele Fragen dazu. Und dennoch war es gut, und er war so vertraut für mich wie immer ...
Doch das ist kein Vergleich zu einem Gespräch, zu einem Treffen, an dem beide aktiv teilnehmen können. Es war einfach nur das, was ich als einziges noch tun konnte. Was übrig blieb.
Hast Du, Leela, noch niemanden verloren und gedacht, schade, dies oder das hätte ich gern noch gesagt? Ihm gewünscht? Oder ein Streit war das letzte, was ihr gemeinsam hattet?
Ich habe es einer gemeinsamen Bekannten und Ex von ihm erzählt, die mich überhaupt erst informiert hat über seinen Tod. Wir verstehen uns gut. Ich musste es jemandem erzählen in diesem Moment (außer meinen Kindern, aber die quatschen nicht). Sie hat es aber weitererzählt, obwohl sie wusste, es darf niemand sonst wissen, aber sie dachte auch nicht, derjenige erzählt es ... hat er aber ... Und so fiel ich in Ungnade in seiner Familie, die Schwägerin meines Freundes hat mir dann den Kontakt untersagt. Da sein Bruder sehr darunter leidet (er hat ihn zudem gefunden), akzeptiere ich das. Außerdem bleibt mir ja nichts weiter übrig.
Einen Fehler sieht niemand bei sich, und ich stehe nun da und bin ausgeschlossen. Deshalb kann ich auch mit niemandem weiter darüber reden. Auch mit der Bekannten nicht mehr, es wurde ihr zuviel. ... Sie verstehen mich auch nicht, aber mit ihnen (seinen Ex') hat er eben auch irgendwann nach einer Trennung wieder gesprochen, von sich aus. Nur ausgerechnet mit mir nicht.
Ich bin in einer Gruppe von Betroffenen, das hilft im Austausch.