Natürlich war es vorher nicht besser. Aber anders. Freitags morgens konnte ich meine Vorfreude schon nicht mehr bei mir halten und ging allen Menschen auf den Nerv. Denn Du solltest abends bei mir sein. Meist habe ich Dich oder Du mich abgeholt, obwohl wir den Weg nach all den Jahren langsam hätten kennen sollen. Aber genau so wenig wie den Weg kannten wir einander. Jeder Freitag war ein langsames Herantasten und Gewöhnen, am Samstag waren wir warm geworden und sonntags mussten wir uns schon wieder trennen. Wenn ich in dieser Zeit eines gelernt habe, dann das sich Ge- und Entwöhnen auf kurze Zeit.
Wir waren schon fast vier Jahre zusammen, als ich in Deine Stadt zog, da meine zu klein war und wenig Zukunft für uns beide geboten hätte. Wie lange wir wirklich zusammen gewesen waren, ich meine Zusammensein in Echtzeit, – in Monaten, Wochen, Tagen und Stunden gemessen – hätte ich gerne gewusst. Es war bestimmt nicht einmal ein Viertel der Zeit.
Wir hatten nur uns, auch wenn wir viel unternahmen, denn unsere Köpfe waren frei. Keine Alltagssorgen kamen mit in den Kurzurlaub, der ganz und gar von Luft und Liebe hätte leben können. Wir waren allein, ohne Gespenster und Sorgen. Der Freitag war oft seltsam, aber schön; der Samstag am schönsten, und wenn wir uns dann hatten, war schon wieder alles vorbei. Ein komischer Rhythmus, und ich frage mich, wie wir das ausgehalten haben.
In der Zeit, in der wir nicht beieinander waren, habe ich viel unternommen. Meine Freunde waren um mich herum, es gab Parties zu feiern, Gespräche zu führen, Biere zu trinken oder, im Ernstfall, Arbeit für die Uni. Bevor wir uns kennenlernten, hatte ich mir mein homogenes Netzwerk schon lange geflochten. Mein Leben war schön, ich hatte alles, was ich brauchte, auch wenn meine Liebe immer nur auf Urlaub zu mir kam. Aber von diesem Urlaub zehrten wir beide, es war unser Elixier. Wir haben uns gegenseitig unsere Batterien aufgeladen – bis zum nächsten Mal.
Nun war ich plötzlich in Deiner Stadt. Ohne Arbeit, ohne Plan, ohne Sinn und Zweck. Meine Freunde über die gesamte Republik verstreut, nur ein-zwei Menschen außer Dir waren greifbar. Du sagst, es war ein großer Druck, der dadurch für Dich entstand. Das tat weh, obwohl ich es verstehen kann, denn ich bin doch wegen Dir hierher gekommen. Warum auch sonst? Welchen Grund kann es sonst geben? Ist nicht die Liebe alles?
Trotzdem würde ich nicht wollen, dass Du nur wegen mir in eine Stadt ziehst, in der Du niemanden kennst. Ich hätte das nie fordern können. Aber Du hast es ja nicht gefordert, ich habe es gewollt, denn eine andere Stadt gab es für mich nicht. Heute denke ich, es wäre vielleicht nicht schlecht gewesen, gemeinsam in eine neue Stadt zu gehen, aber wohin? Und warum, wenn Du doch eine gute Arbeit hast. Es hätte keinen Sinn ergeben, zumal man sich eventuell gegenseitig für die gemeinsame Einsamkeit verantwortlich hätte machen können.
Die erste Zeit war kein Zuckerschlecken. Ich habe viel zu viel erwartet, ein Gefühl, dass alles stimmen muss. Dieses Gefühl stellte sich aber nicht ein, denn ich war meines Netzwerkes beraubt, und eine Person alleine kann das nicht gewährleisten, auch nicht der, den ich liebe. Ich brauche Menschen und Aktionen, brauche neue Ideen und Aufgaben. Ich habe mich nur auf Dich konzentriert und Dich damit in die Ecke gedrängt. Bald hast Du mir kommuniziert, dass Du Zeit für Dich alleine brauchst. Das war hart, denn ich habe es nicht verstanden. Ich habe gedacht, das kann doch nicht sein, jetzt tue ich alles, nur um hier zu sein, und dann das!
Aber wie hätte es anders sein sollen: wir haben diese Jahre ja nur durchgehalten, weil wir sehr lange Zeit ohne einander auskommen konnten. Wie sollte das auf einmal gehen? Darüber hinaus wurde mir erst dann bewusst, wie wenig ich Dich doch wirklich kannte. Kleinigkeiten und Alltagsverhaltensweisen, die ich vorher wegen der Entfernung nie bemerkte, und die ich in der ersten Phase der Verliebtheit absolut übersehen hätte, waren plötzlich da und unübersehbar.
Das, was wir sonst an einem Freitagabend geschafft hatten, das Gewöhnen, sollte nun einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Wir haben uns deswegen geeinigt, nicht zusammen zu ziehen. Eine gute Entscheidung, auch wenn ich mir in den ersten Wochen so einsam wie noch nie vorkam, wenn ich eine Nacht alleine verbringen musste. Wen interessiert schon Ruhe, wenn man stattdessen Nähe haben könnte?
Inzwischen weiß ich, wir sind verschieden. Ich kann problemlos ohne Zeit für mich auskommen, jedenfalls für sehr lange Zeiträume, während Du gern allein bist und das auch brauchst. Es war ganz schön hart, einzusehen, dass das keine Entscheidung gegen mich, sondern für Dich selbst ist. Wenn ich Zeit für mich habe, nutze ich sie meist für Dinge, die erledigt werden müssen, während Du die freie Zeit mit Sachen verbringst, die ich teils weder nachvollziehen, noch gut finden kann. Aber das ist Deine Zeit, und die sollst Du verbringen, wie Du meinst. Eine Zeit lang war ich eifersüchtig auf alles, womit Du Zeit verbringen wolltest, aber nur, weil ich es als Entscheidung gegen mich verstanden habe. Als würde ich nerven. Als wolltest Du mich nicht mehr sehen. Als liebtest Du mich nicht mehr, wo ich Dir jetzt nah bin.
Mit der Zeit ist mein Netzwerk hier gewachsen, es ist zwar noch klein, aber es ist existent. Ich habe Arbeit und Freunde, und kann erst jetzt eine gute Freundin sein. In diesen Monaten, die ich hier jetzt wohne, habe ich eines besonders gelernt: Keine Beziehung kann Dich intakt machen, solange Du selbst nicht intakt bist. Man muss bei sich anfangen, bevor alles andere stimmen kann.
Jetzt sind die Wochenenden und freien Tage wieder schön. Wir haben uns wieder, auch wenn der Alltag sich hier und da bemerkbar macht. Der Weg dahin war sehr schwer, doch umso leichter fällt es jetzt. Liebe braucht Freiheit, und man muss dafür kämpfen. Erst dann macht sich bemerkbar, wie wichtig es wirklich ist, und ob man die richtige Entscheidung getroffen hat. Jetzt weiß ich: ohne Dich will ich nie mehr sein. Quelle:
http://www.neon.de/kat/fuehlen/liebe/71999.html