Hallo sageslaut,
ich finde es interessant und schön, dass du dieses Thema angerissen hast. Was mir beim Lesen dieser zahlreich vorhandenen Threads ebenfalls immer wieder auffällt: Es fehlt tatsächlich häufig in erster Linie die Eigenreflexion.
Eigenreflexion ist dabei natürlich dennoch vorhanden, aber eben nicht zielgerichtet. Vielen ist ja bewusst, dass sie sich in etwas stürzen, was sie lieber nicht täten. Dabei kommt es mir, ähnlich wie dir, immer so vor, als wenn der Verstand gerade beim Niederschreiben der Probleme sozusagen den Leser auf der „richtigen Seite“ einfangen will. Nämlich, dass es eben moralisch falsch wäre und das man sich dieses Fehlers auch bewusst ist.
Das Argument, dass man sich nicht gegen Gefühle wehren kann, wird häufig (nicht immer!) dann tatsächlich als Ausrede benutzt und irgendwo auch als Strohhalm in der Hoffnung verwendet, dass es doch noch irgendwie klappen mag. Nach meinem Dafürhalten werden demzufolge auch oft die „falschen“ Fragen gestellt. Es wird oft gefragt: „Was kann ich tun?“… wenn man weiterliest geht es aber letztlich dann immer nur darum, dass sich der Verfasser Tipps erhofft, wie man doch noch glücklich werden könnte. Das heißt, man lässt sich auch nicht wirklich auf die verstandsgemäßen Gedanken ein (oder erst sehr, sehr spät). Die Fragen sollten, wenn man sich des Problems im Kern bewusst ist, eher dahin gehen, zu erfahren, wie man erfolgreicher gegen die Gefühle oder eine „verbotene“ Situation angehen kann. Denn eins ist ja auch klar: Von Gefühlen kann man zwar übermannt werden, es ist aber, dies zeigt ja das Leben, nicht wahr, dass man gegen Gefühle nichts unternehmen oder zumindest den Umgang mit ihnen lernen könnte. Das ist irgendwo, neben den tatsächlich vorhandenen Gefühlen und Emotionen, schlicht auch eine Frage von Bequemlichkeit und Charakter.
In dem Zusammenhang ist natürlich trotzdem der Einwand berechtigt, dass nicht alle Menschen stark sind. Und ich fänds auch furchtbar, wenn es so wäre. Wenn die Welt immer nur aus starken Persönlichkeiten bestünde, die all ihre Gefühle unter Kontrolle hielten. Das Leben besteht ja nicht nur aus Liebe… Gefühle, Emotionen können in den unterschiedlichsten Facetten zum Vorschein kommen und das halte ich für wichtig. Denjenigen, die vielleicht nicht so viel Kraft haben, ihr Problem wahrzunehmen oder anzugehen, muss man dann, sofern sie es selber wollen, möglicherweise etwas klarer und energischer die Situation bewusst machen und Auswege aufzeigen. Wer aber, ob nun stark oder schwach, äußert, dass eine Beziehung / Affäre oder was auch immer falsch ist, der sollte eben tunlichst vermeiden, diese schicksalsergebene Position einzunehmen: „Ich kann nichts dagegen machen.“ Man muss dann wohl eher sagen: Derjenige will (noch) nichts dagegen machen.
Es gibt bei der Geschichte aber einen ganz anderen Aspekt, den ich interessant finde und der mich persönlich auch schon lange beschäftigt. Er erscheint vielleicht nicht in unmittelbarem Zusammenhang, aber er zeigt vielleicht auf, wie komplex die Frage sein kann. Kommt ein Mensch in die Situation, für eine vergebene Person Gefühle zu entwickeln, dann kann man sicher sein, dass der erhobene Zeigefinger kommt und die ganzen Moralpredigten gehalten werden. Was genau ist denn aber eigentlich so unmoralisch?
Die Gesellschaft entwickelt sich immer weiter, sie wird immer aufgeklärter. Wenn z.B. über Sex vor 100 Jahren nicht so offen gesprochen wurde, hat sich das in unserer Gesellschaft stark verändert. Man kann das nun kritisieren oder auch nicht, Tatsache bleibt aber, dass über die Dinge ganz anders, offener und vor allem mit größerer Intensität geredet wird. Dieses Forum allein ist dafür schon Beweis genug. Es ist nicht an der Tagesordnung, aber dennoch eben nicht gerade selten, dass jugendliche Kinder sehr früh Erfahrungen sammeln… und damit meine ich noch nicht mal, dass es immer zum Äußersten kommen muss.
Folgender Gedanke: Einem z.B. 15-17jährigen Menschen würde man in aller Regel immer sagen, sofern er von „ewig Zusammenbleiben“ usw. spricht, dass er sich erstmal „umschauen“ und noch nicht so rigoros binden soll. Zumindest erlebe ich es in den unterschiedlichsten Kreisen so, dass dieses „leg dich noch nicht fest“ ziemlich ausgeprägt ist. Die eigentliche Entscheidung, die feste und lang anhaltende Beziehung ist sozusagen für später vorgesehen… wenn man bereits entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Parallel dazu tendiert unsere Gesellschaft dahin, Persönlichkeiten zu formen, d.h. in dem Sinne, dass man sich nicht alles gefallen und nicht zu allem „ja“ und „Amen“ sagen sollte. Was sicherlich im Hinblick auf das Vermeiden von nur Ja-Sagern sinnvoll ist. Andererseits gibt es so eine unterschwellige Mentalität: Es gibt im Leben auch tausend andere Möglichkeiten, eben auch in Bezug auf den Partner. Bekomme ich dort nicht, was ich brauche – ok, gibt ja noch viele andere. Das ist übrigens auch ein Argument, welches hier im Forum sehr häufig zum Zuge kommt. Hat sich jemand in eine Affäre o.ä. verstrickt oder spricht übertrieben davon, dass dies der einzig wahre Partner ist – dann kommt eben: Die Welt ist doch voll von tollen Frauen und Männern.
Mein Punkt ist: Interessanterweise wird sehr viel dafür getan, dass sich die Menschen offen und modern entwickeln. Es gibt für alles Lösungen, es gibt tausend Angebote usw. In Abgrenzung dazu, verharren wir aber in sehr traditionellen Denkmustern, nämlich, dass ein vergebener Partner tabu ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin kein Verfechter von Seitensprüngen, ONS, Affären oder sonstigem und ich habe selber auch noch nicht sowas gehabt (was irgendwo auch damit zusammenhängt, dass ich diese Gelegenheit auch nicht suche oder entsprechende Offenheit signalisiere). Dennoch frage ich mich, wieso so ein Getue (mach ich selber) um den Umstand gemacht wird, dass sich ein vergebener Partner neu orientiert? Lassen wir mal die Kinderdiskussion außen vor, dann muss man doch sagen, dass eine Neuorientierung, Gefühle zulassen, sich neu verlieben lediglich genau das ist, was man bereits als Jugendlicher lernt. Was ist es, dass man sich betrogen fühlt? Wieso kommt man auf die Idee, dass der Partner zu einem gehört und damit tabu für andere Kandidaten sein sollte, wenn man im Grunde von Anfang lernt, dass das Angebot groß und ja legitim ist? Ein „Betrug“ bleibt ein Betrug, egal ob du 15 oder 52 bist, aber das interessante ist doch, warum es diese Moralvorstellung so gibt. Ich würde behaupten, dass ich diese Moral ähnlich lebe, dennoch frage ich mich, wieso es sie heute noch so gibt.
Und um noch eine letzte kleine These draufzusetzen: Ich glaube, dass all das auch eine Frage des Geldes ist. Der Zeigefinger erscheint mir nämlich nicht annähernd so erhoben, wenn Prominente zum x-ten Mal ihre Partner hintergangen und sich neu orientiert haben. Es wird zunehmend eher nur amüsiert zur Kenntnis genommen. Interessant dabei ist auch, wie viele Kinder (mit den unterschiedlichsten Partnern) dabei teilweise in die Welt gesetzt werden. Wo in der „normalen“ Gesellschaft immer zuerst käme, dass du deinen Gefühlen nicht nachgeben darfst - schließlich sind ja Kinder im Spiel – wird diese Frage in finanziell starken Kreisen mit einfachen Unterhaltszahlungen (an denen normale Frauen und Männer im Alltag häufig finanziell abrutschen) und Kindermädchen geregelt. Ob das für die Kinder so toll ist, kann man sich ja fast denken. Richtig Anstoß nimmt daran aber niemand. Man könnte auch kurz und provokant sagen: Ein kleiner Teil der Gesellschaft lebt seine Gefühle einfach aus, ein anderer großer Teil bleibt darin gefangen.