Nun überlege ich schon seit Tagen, ob ich mich überhaupt anmelden soll, und wenn ja, was ich euch zur Begrüßung erzählen kann. Die Anmeldung habe ich geschafft, die Begrüßung liegt mir immer noch im Magen…
Am besten – ich fange einfach an.
Ich habe mich Ende Juni übers Internet in einen Mann verliebt, den ich zwar vorher schon unter seinem Nick kannte und dessen Beiträge mir stets gefallen haben, aber ich hätte nie gedacht, dass er schon lange Zeit vorher ebenso auf mich aufmerksam geworden war und nun ähnlich überrascht war, dass sich da wohl zwei gefunden hätten, die so richtig auf der gleichen Wellenlänge liegen.
Nach wenigen Tagen verlagerten wir den Kontakt von den PNs auf private e-Mails und kamen uns so ausschließlich schriftlich sehr schnell sehr nahe. Er ist – genau wie ich – verheiratet, einige Jahre älter und lebt leider einige hundert Kilometer von mir entfernt. Nach etwa 14 Tagen telefonierten wir zum ersten Mal miteinander, und schon damals sagte er, er wolle ein persönliches Treffen so weit wie möglich hinauszögern, weil er meinetwegen angeblich so durchdrehe, dass er befürchte, danach überhaupt nichts mehr auf die Reihe zu bekommen. Wir seien ja nun beide nicht mehr sooo fürchterlich jung und bewegten uns in festen Lebensbahnen, dass es einfach unklug wäre, sich so einer emotionalen Schleuderpartie auszusetzen, um danach dann vielleicht noch unglücklicher als vorher zu sein. Und unglücklich waren wir ja eigentlich nicht, ganz im Gegenteil – schwer verliebt wie Teenager schrieben wir uns täglich mehrfach die liebevollsten mails hin und her.
Es kam wie es kommen musste, irgendwann waren wir natürlich auch in der erotischen Ecke angelangt und heizten uns gegenseitig auf, aber wir rutschten nie in so eine „schmuddelige“ Ecke ab, es hatte stets Stil und lebte eigentlich mehr von Andeutungen, die wiederum beim anderen das entsprechende Kopfkino auslöste. Ich habe es sehr genossen, seinetwegen ständig leicht unter Strom zu stehen und beschwingt durch meinen Alltag zu tänzeln.
Anfang August krachte es dann aus heiterem Himmel das erste Mal.
Ich hatte mich mal wieder in so eine ungute sehnsuchtsvolle Stimmung hineinmanövriert, so dass ich ihm weit nach Mitternacht noch schrieb, dass ich so unglücklich sei, weil wir nicht zusammenkommen können. Erst am nächsten Tag konnte er antworten, aber was heißt antworten – er brüllte und bäumte sich auf wie ein angeschossener Löwe und nahm mich bis tief in die Nacht auseinander. Ich konnte schreiben, was ich wollte, erklären, relativieren, so erschrocken über diese gewaltige Reaktion war ich… es nützte nichts. Seine Erklärung war schlicht und ergreifend, dass ich wohl genau „den wunden Punkt unserer Beziehung“ getroffen hätte und er sei ja genau so unglücklich wie ich darüber, aber ich wüsste doch, wie es ist, und deshalb fände er es so verletzend, ihm quasi die Schuld an der Misere zu geben, er könne nun einmal nicht so wie er wolle, und so weiter und so fort.
Einen Tag später lenkte er aber ein, begründete viele seiner zurückhalten Reaktionen mit seiner privaten Situation… und schien nun doch damit einverstanden, nicht einfach alles wegzuwerfen, was uns bis dahin verband. Ich selber schwor mir natürlich, künftig achtsamer zu sein und mein körperliches Verlangen nach diesem Mann zu unterdrücken bzw. für mich zu behalten.
Keine 14 Tage später krachte es erneut.
Ich fuhr in den Urlaub und versuchte, vom Urlaubsort aus den e-Mail-Kontakt aufrecht zu erhalten. Eine seiner „Ermahnungen“ von Anfang August, das alles doch nicht so schwer zu nehmen, hatte ich stets im Hinterkopf, also schrieb ich fröhliche, lustige Urlaubsmails, er sollte ja bloß nicht denken, dass ich da schwermütig am Strand liege. Bloß nicht! Nicht, dass ihn der Gedanke daran noch belastet! Gleichzeitig fiel mir auf, dass er in keinster Weise unbeschwert antwortete, auf alles, was ich ihm schrieb, kam irgendetwas Blödes, Ernsthaftes zurück. Das ging mir dann tatsächlich auf den Keks und schrieb ihm nach langer, reiflicher Überlegung, dass ich nun den e-Mail-Kontakt erst einmal einstellen würde, es hätte ja keinen Sinn, wenn ihn das alles mit mir so belaste, dann wolle ich mich gerne ein Weilchen zurückziehen, bis wieder Ruhe bei ihm eingekehrt sei und er seinen Alltag wieder im Griff hätte. Wirklich dahinter stand ich natürlich nicht, ich wollte ja gar nicht den Kontakt reduzieren, aber ehrlich gesagt wollte ich ihm auch klarmachen, dass ich lieber gar keine mails als „so komische“ kriege.
Tja, und dann kam noch eine einzige knackige Antwort von ihm, in der er nicht nur meine mail wieder einmal völlig zerpflückte und mir unerträglichen Zynismus vorwarf, sondern – ohne es tatsächlich zu schreiben – Schluss machte. So habe ich das dann jedenfalls aufgenommen.
Konnte er denn nicht einmal „normal“ reagieren?
Konnte er denn nicht einfach schreiben „Ja, ich glaube, du hast Recht, weißt du, ich hab gerade das und das um die Ohren, mir geht’s gerade nicht gut, sollst sehen, in ein paar Tagen ist das auch vorüber…“???
Weitere mails von mir hat er ignoriert, nur ein letztes Mal Ende August bat er mich, seinen Wunsch nach Ruhe zu respektieren. Nichts weiter. Keinen Hinweis darauf, wie lange denn die Pause dauern würde. Auch kein netter Zweizeiler oder so zwischendurch, so als kleines Lebenszeichen.
Was mich so fertigmacht, ist die Tatsache, dass ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob wirklich Schluss ist, denn das hat er ja so nicht geschrieben. Und dass es nicht schlau ist, irgendetwas in seine Worte hineinzuinterpretieren, habe ich in anderen Zusammenhängen ja auch schon erleben müssen. Der ganze mail-Kontakt war immer wieder von Missverständnissen geprägt, die aber dank der liebevollen Grundhaltung stets geklärt werden konnten, mal sachlich, mal humorvoll.
Dass ich mich nun bei euch angemeldet habe, hat nicht etwa den Hintergrund, dass ich ihn analysieren möchte. Ich weiß immerhin ausreichend genug über ihn und sein Leben, um mir gewisse Zusammenhänge denken zu können. Dann bin ich ernüchtert genug, um die Stolperfallen einer Internet-Liebe einzukalkulieren, und ich bin außerdem alt genug, um schon einige "komische Dinge" erlebt zu haben. Mir geht es also nicht um die Frage „Warum ist der so?“, sondern um die Frage „Wie gehe ich damit um, dass er mich so einfach aus seinem Leben gekickt hat?“
Und das, ohne dass wir je ernsthaft die Dinge, die schiefgelaufen sind, miteinander durchgesprochen hätten. Ich weiß also noch nicht einmal, womit ich ihn denn nun verletzt habe, ich weiß nur, dass ich ihn verletzt habe. Da habe ich dieses geschrieben, dort jenes, und das tue ihm weh. Aber nie die Frage „Wie hast du das gemeint?“ oder „Warum hast du das geschrieben?“ Ich dagegen habe immer nachgefragt, wenn ich mir nicht ganz sicher war, eben um genau zu vermeiden, dass ich was in den falschen Hals kriege. Bei einer reinen Brieffreundschaft, die darüber hinaus auch noch extrem emotional verläuft, kann das eben manchmal passieren, dass man etwas nicht auf Anhieb richtig einsortiert, das ist doch nicht schlimm, dann spricht man eben darüber und schon ist wieder alles in Butter.
Er schrieb dann gerne: „Ach Liebes, das habe ich doch gar nicht so gemeint!“ oder eben: „Nimm das doch alles nicht so ernst, ich blödel doch nur ein bisschen herum!“ Das hätte ich mich nie getraut, so etwas zu schreiben! Wenn ich allein an diese grässliche Nacht Anfang August denke, ach herrje, da hätte ich mal schreiben sollen, dass ich doch bloß Spaß gemacht habe!
Aber wie dem auch sei, es nützt ja nichts, mir jetzt einzureden, ich hätte mich korrekter oder fairer als er verhalten, Tatsache ist ganz einfach, dass er mich komplett ignoriert und ich mich natürlich hüten werde, ihn unnötig zu bedrängen. Wenn er wollte, hätte er ja schon längst wieder geschrieben.
Er will aber wohl nicht, also muss ich mich auch nicht unnötig in freundliche Erinnerung bringen.
Aber ich vermisse ihn so.
Dieser Mann ist einerseits so brachial in mein Leben eingeschlagen, hat sich dann aber andererseits so feinsinnig eingefädelt in den Fluss meines Alltags, dass ich schon sehr bald glaubte, ich wäre nie ohne ihn gewesen. Alle meine Gedanken drehen sich nur noch um ihn. Ich kann das einfach gar nicht glauben, dass er schon wieder zur Tagesordnung übergegangen ist. Nach den Briefen, die er mir geschrieben hat, kann ich nicht glauben, dass ich so gar keine Spuren auf seiner Seele hinterlassen habe, dass er mich nicht vermisst.
Er war immer bei mir. Und er ist es noch.
Er begleitet mich durch den Tag, ob im Job oder hier zu Hause. Es ist völlig gleichgültig, was ich auch gerade mache, ich denke nonstop an ihn. Auch jetzt noch, obwohl ich den ganzen September hindurch nicht eine einzige Zeile von ihn zu lesen bekam. Ich vermisse seine Briefe, die wie Streicheleinheiten waren, seinen Humor, über den ich hier am Rechner laut gelacht habe, seine Klugheit, über die ich immer wieder gestaunt habe, seine Sicht der Dinge, die meiner oft so fremd war, aber letzten Endes eher eine Bereicherung für mich war als dass ich sie abgelehnt hätte. Und ich vermisse vor allem seine Zärtlichkeit, seine Küsse, die ich schmecken konnte, seine zarten Berührungen, die ich spüren konnte.
Mein Gott, es war ja „nur“ eine Brieffreundschaft!
Und trotzdem – ich werde einfach nicht fertig damit.
Natürlich habe ich schon sämtliche Gefühlslagen durch. Zunächst habe ich alle, wirklich alle e-Mails oder PNs nochmal gelesen, einige hundert Stück, da hat sich ganz schon was angesammelt in dieser doch vergleichsweise kurzen Zeit. Dann habe ich versucht, Normalität vorzutäuschen und so zu tun, als ginge das Leben „einfach so“ weiter. Dann kam die Phase der Wut, was der sich denn eigentlich einbildet, dieser Idiot! Dann habe ich es mit Vernunft versucht, ich bin schließlich 43 und nicht 13 und ich müsse mir mal überlegen, wie ich mich eigentlich benehme…!
Und ihr ahnt es schon: Nützt nix. Nützt gaaar nix.
Danke fürs Lesen!
Liebe Grüße
Spread your wings
Am besten – ich fange einfach an.
Ich habe mich Ende Juni übers Internet in einen Mann verliebt, den ich zwar vorher schon unter seinem Nick kannte und dessen Beiträge mir stets gefallen haben, aber ich hätte nie gedacht, dass er schon lange Zeit vorher ebenso auf mich aufmerksam geworden war und nun ähnlich überrascht war, dass sich da wohl zwei gefunden hätten, die so richtig auf der gleichen Wellenlänge liegen.
Nach wenigen Tagen verlagerten wir den Kontakt von den PNs auf private e-Mails und kamen uns so ausschließlich schriftlich sehr schnell sehr nahe. Er ist – genau wie ich – verheiratet, einige Jahre älter und lebt leider einige hundert Kilometer von mir entfernt. Nach etwa 14 Tagen telefonierten wir zum ersten Mal miteinander, und schon damals sagte er, er wolle ein persönliches Treffen so weit wie möglich hinauszögern, weil er meinetwegen angeblich so durchdrehe, dass er befürchte, danach überhaupt nichts mehr auf die Reihe zu bekommen. Wir seien ja nun beide nicht mehr sooo fürchterlich jung und bewegten uns in festen Lebensbahnen, dass es einfach unklug wäre, sich so einer emotionalen Schleuderpartie auszusetzen, um danach dann vielleicht noch unglücklicher als vorher zu sein. Und unglücklich waren wir ja eigentlich nicht, ganz im Gegenteil – schwer verliebt wie Teenager schrieben wir uns täglich mehrfach die liebevollsten mails hin und her.
Es kam wie es kommen musste, irgendwann waren wir natürlich auch in der erotischen Ecke angelangt und heizten uns gegenseitig auf, aber wir rutschten nie in so eine „schmuddelige“ Ecke ab, es hatte stets Stil und lebte eigentlich mehr von Andeutungen, die wiederum beim anderen das entsprechende Kopfkino auslöste. Ich habe es sehr genossen, seinetwegen ständig leicht unter Strom zu stehen und beschwingt durch meinen Alltag zu tänzeln.
Anfang August krachte es dann aus heiterem Himmel das erste Mal.
Ich hatte mich mal wieder in so eine ungute sehnsuchtsvolle Stimmung hineinmanövriert, so dass ich ihm weit nach Mitternacht noch schrieb, dass ich so unglücklich sei, weil wir nicht zusammenkommen können. Erst am nächsten Tag konnte er antworten, aber was heißt antworten – er brüllte und bäumte sich auf wie ein angeschossener Löwe und nahm mich bis tief in die Nacht auseinander. Ich konnte schreiben, was ich wollte, erklären, relativieren, so erschrocken über diese gewaltige Reaktion war ich… es nützte nichts. Seine Erklärung war schlicht und ergreifend, dass ich wohl genau „den wunden Punkt unserer Beziehung“ getroffen hätte und er sei ja genau so unglücklich wie ich darüber, aber ich wüsste doch, wie es ist, und deshalb fände er es so verletzend, ihm quasi die Schuld an der Misere zu geben, er könne nun einmal nicht so wie er wolle, und so weiter und so fort.
Einen Tag später lenkte er aber ein, begründete viele seiner zurückhalten Reaktionen mit seiner privaten Situation… und schien nun doch damit einverstanden, nicht einfach alles wegzuwerfen, was uns bis dahin verband. Ich selber schwor mir natürlich, künftig achtsamer zu sein und mein körperliches Verlangen nach diesem Mann zu unterdrücken bzw. für mich zu behalten.
Keine 14 Tage später krachte es erneut.
Ich fuhr in den Urlaub und versuchte, vom Urlaubsort aus den e-Mail-Kontakt aufrecht zu erhalten. Eine seiner „Ermahnungen“ von Anfang August, das alles doch nicht so schwer zu nehmen, hatte ich stets im Hinterkopf, also schrieb ich fröhliche, lustige Urlaubsmails, er sollte ja bloß nicht denken, dass ich da schwermütig am Strand liege. Bloß nicht! Nicht, dass ihn der Gedanke daran noch belastet! Gleichzeitig fiel mir auf, dass er in keinster Weise unbeschwert antwortete, auf alles, was ich ihm schrieb, kam irgendetwas Blödes, Ernsthaftes zurück. Das ging mir dann tatsächlich auf den Keks und schrieb ihm nach langer, reiflicher Überlegung, dass ich nun den e-Mail-Kontakt erst einmal einstellen würde, es hätte ja keinen Sinn, wenn ihn das alles mit mir so belaste, dann wolle ich mich gerne ein Weilchen zurückziehen, bis wieder Ruhe bei ihm eingekehrt sei und er seinen Alltag wieder im Griff hätte. Wirklich dahinter stand ich natürlich nicht, ich wollte ja gar nicht den Kontakt reduzieren, aber ehrlich gesagt wollte ich ihm auch klarmachen, dass ich lieber gar keine mails als „so komische“ kriege.
Tja, und dann kam noch eine einzige knackige Antwort von ihm, in der er nicht nur meine mail wieder einmal völlig zerpflückte und mir unerträglichen Zynismus vorwarf, sondern – ohne es tatsächlich zu schreiben – Schluss machte. So habe ich das dann jedenfalls aufgenommen.
Konnte er denn nicht einmal „normal“ reagieren?
Konnte er denn nicht einfach schreiben „Ja, ich glaube, du hast Recht, weißt du, ich hab gerade das und das um die Ohren, mir geht’s gerade nicht gut, sollst sehen, in ein paar Tagen ist das auch vorüber…“???
Weitere mails von mir hat er ignoriert, nur ein letztes Mal Ende August bat er mich, seinen Wunsch nach Ruhe zu respektieren. Nichts weiter. Keinen Hinweis darauf, wie lange denn die Pause dauern würde. Auch kein netter Zweizeiler oder so zwischendurch, so als kleines Lebenszeichen.
Was mich so fertigmacht, ist die Tatsache, dass ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob wirklich Schluss ist, denn das hat er ja so nicht geschrieben. Und dass es nicht schlau ist, irgendetwas in seine Worte hineinzuinterpretieren, habe ich in anderen Zusammenhängen ja auch schon erleben müssen. Der ganze mail-Kontakt war immer wieder von Missverständnissen geprägt, die aber dank der liebevollen Grundhaltung stets geklärt werden konnten, mal sachlich, mal humorvoll.
Dass ich mich nun bei euch angemeldet habe, hat nicht etwa den Hintergrund, dass ich ihn analysieren möchte. Ich weiß immerhin ausreichend genug über ihn und sein Leben, um mir gewisse Zusammenhänge denken zu können. Dann bin ich ernüchtert genug, um die Stolperfallen einer Internet-Liebe einzukalkulieren, und ich bin außerdem alt genug, um schon einige "komische Dinge" erlebt zu haben. Mir geht es also nicht um die Frage „Warum ist der so?“, sondern um die Frage „Wie gehe ich damit um, dass er mich so einfach aus seinem Leben gekickt hat?“
Und das, ohne dass wir je ernsthaft die Dinge, die schiefgelaufen sind, miteinander durchgesprochen hätten. Ich weiß also noch nicht einmal, womit ich ihn denn nun verletzt habe, ich weiß nur, dass ich ihn verletzt habe. Da habe ich dieses geschrieben, dort jenes, und das tue ihm weh. Aber nie die Frage „Wie hast du das gemeint?“ oder „Warum hast du das geschrieben?“ Ich dagegen habe immer nachgefragt, wenn ich mir nicht ganz sicher war, eben um genau zu vermeiden, dass ich was in den falschen Hals kriege. Bei einer reinen Brieffreundschaft, die darüber hinaus auch noch extrem emotional verläuft, kann das eben manchmal passieren, dass man etwas nicht auf Anhieb richtig einsortiert, das ist doch nicht schlimm, dann spricht man eben darüber und schon ist wieder alles in Butter.
Er schrieb dann gerne: „Ach Liebes, das habe ich doch gar nicht so gemeint!“ oder eben: „Nimm das doch alles nicht so ernst, ich blödel doch nur ein bisschen herum!“ Das hätte ich mich nie getraut, so etwas zu schreiben! Wenn ich allein an diese grässliche Nacht Anfang August denke, ach herrje, da hätte ich mal schreiben sollen, dass ich doch bloß Spaß gemacht habe!
Aber wie dem auch sei, es nützt ja nichts, mir jetzt einzureden, ich hätte mich korrekter oder fairer als er verhalten, Tatsache ist ganz einfach, dass er mich komplett ignoriert und ich mich natürlich hüten werde, ihn unnötig zu bedrängen. Wenn er wollte, hätte er ja schon längst wieder geschrieben.
Er will aber wohl nicht, also muss ich mich auch nicht unnötig in freundliche Erinnerung bringen.
Aber ich vermisse ihn so.
Dieser Mann ist einerseits so brachial in mein Leben eingeschlagen, hat sich dann aber andererseits so feinsinnig eingefädelt in den Fluss meines Alltags, dass ich schon sehr bald glaubte, ich wäre nie ohne ihn gewesen. Alle meine Gedanken drehen sich nur noch um ihn. Ich kann das einfach gar nicht glauben, dass er schon wieder zur Tagesordnung übergegangen ist. Nach den Briefen, die er mir geschrieben hat, kann ich nicht glauben, dass ich so gar keine Spuren auf seiner Seele hinterlassen habe, dass er mich nicht vermisst.
Er war immer bei mir. Und er ist es noch.
Er begleitet mich durch den Tag, ob im Job oder hier zu Hause. Es ist völlig gleichgültig, was ich auch gerade mache, ich denke nonstop an ihn. Auch jetzt noch, obwohl ich den ganzen September hindurch nicht eine einzige Zeile von ihn zu lesen bekam. Ich vermisse seine Briefe, die wie Streicheleinheiten waren, seinen Humor, über den ich hier am Rechner laut gelacht habe, seine Klugheit, über die ich immer wieder gestaunt habe, seine Sicht der Dinge, die meiner oft so fremd war, aber letzten Endes eher eine Bereicherung für mich war als dass ich sie abgelehnt hätte. Und ich vermisse vor allem seine Zärtlichkeit, seine Küsse, die ich schmecken konnte, seine zarten Berührungen, die ich spüren konnte.
Mein Gott, es war ja „nur“ eine Brieffreundschaft!
Und trotzdem – ich werde einfach nicht fertig damit.
Natürlich habe ich schon sämtliche Gefühlslagen durch. Zunächst habe ich alle, wirklich alle e-Mails oder PNs nochmal gelesen, einige hundert Stück, da hat sich ganz schon was angesammelt in dieser doch vergleichsweise kurzen Zeit. Dann habe ich versucht, Normalität vorzutäuschen und so zu tun, als ginge das Leben „einfach so“ weiter. Dann kam die Phase der Wut, was der sich denn eigentlich einbildet, dieser Idiot! Dann habe ich es mit Vernunft versucht, ich bin schließlich 43 und nicht 13 und ich müsse mir mal überlegen, wie ich mich eigentlich benehme…!
Und ihr ahnt es schon: Nützt nix. Nützt gaaar nix.
Danke fürs Lesen!
Liebe Grüße
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