Schlafende Seel, erinn’re dich;
Tu was wachen Sinnen frommt,
Lern die Weise,
Wie das Leben rasch verstrich,
Wie der Tod uns näher kommt
Leise, leise;
Wie die Lust so schnell entweicht,
Wie sie, da du’s kaum gedacht,
Schmerz gebar;
Wie, soweit Erinnrung reicht,
Jede Zeit, die schon vollbracht,
Besser war.
Sehen wir die Gegenwart
In ein schieres Nichts zerrinnen
und vergehn,
Ist wohl das, was noch nicht ward,
Wenn wir weislich uns besinnen,
Schon geschehn.
Keiner soll sich trügen, nein!
Keiner wähne, dauern soll,
Was er hofft,
Länger als vergang’ner Schein;
Zahlt doch alles seinen Zoll
Unverhofft.
Unser Leben ist ein Strom,
Der sich endigt in dem Meer, -
Das heißt Tod.
Jedes Reich, und wär es Rom,
Fährt dahin ohn’ Wiederkehr
Und verloht.
Fahren Flüsse groß und reich,
Fahren alle, die geringer,
Samt den kleinen.
Alle sind am Ende gleich,
Wo der Knecht und der Bezwinger
sich vereinen.
Nicht die Musen ruf ich an
Wie die Meister, die Poeten
Und Gelehrten;
Ihre Mähren sind ein Wahn,
Giftkraut bergen in den Beeten
Ihre Gärten;
Ihn allein preis ich gewiß,
Ihn allein lobt mein Gedicht,
Nach der Wahrheit,
Der zur Welt sich niederließ,
Doch die Welt erkannte nicht
Seine Klarheit.
Nur ein Weg ist diese Welt
Zu der andern, deren harrt
Unsre Seel.
Unser Segel sei gestellt,
Zu bestehen diese Fahrt
Ohne Fehl.
Fahren ab, wenn wir geboren;
Weil wir leben, reisen wir
Hin zum Port.
Wenn die Zeitlichkeit verloren,
Wenn wir einst gestorben hier,
Ruh’n wir dort.
Gut war diese Welt gar sehr,
Nützen wir sie wohl als Erben
An dem Wort.
Denn nach unsers Glaubens Lehr
Harren wir, um zu erwerben
Jene dort.
Ja, auch Gottes eigner Sohn,
Uns zum Himmel zu erheben,
Stieg herab,
Ließ für uns den lichten Thron,
Um hier unter uns zu leben;
Fand sein Grab.
Ja, bestünds in unserm Wollen,
Unser Antlitz zu verschönen
Und den Leib,
Wie wir unsre Seele sollen
Mit der Engelsglorie krönen,
Die da blieb:
O mit wie befliss’nem Sinn
Nützten wir den Augenblick
Jederzeit;
Herzustellen, was dahin;
Doch die Seele blieb zurück
Todgeweiht.
Ach, die Güter dieser Welt,
Die den Lebensweg uns zieren
Und geleiten,
Sind uns nur zum Trug gesellt,
Eh wir sterbend sie verlieren.
Sie entgleiten,
Lösen sich nach Fug der Zeit,
Lösen sich durch Schicksalsfälle,
Die versehren.
Auch wer in dem Adelskleid
Steht in Würden höchster Stelle,
Lernt entbehren.
O sagt an: des Leibes Schöne
Jugendfrische und der Glanz
des Gesichts,
Rosig-weiße Farbentöne
Wird des Alters Beute ganz?
Bleibt denn nichts?
Leichte und behende Glieder,
Des gesunden Leibes Spiel
Schlank und fest,
Alles drückt die Schwere nieder,
Wenn das Alter uns befiel
Und Gbrest.
Ja, der Goten edle Sippen,
Adlig Blut und Ahnenruhm,
Hoch erhoben,
Splitterten an wieviel Klippen,
Sanken hin, ihr Edeltum
Ist zerstoben.
Manchen kam ihr Gut abhanden,
Heißen niedrig und entehrt
Und verkamen;
Andre leben arm in Schanden
Vom Geschäft, das alle nährt
Ohne Namen
Adel, Reichtum, Würden, Lehen
Schwinden – wer darf ihnen trauern?
Wer mag staunen?
Was verbürgte ihr Bestehen?
All dies stammt von einer Frauen
Die hat Launen.
Es sind Güter der Fortuna,
Die sich dreht mit ihrem Rade
Gar so schnelle.
Wandeln muß sie sich wie Luna,
Folget nicht geradem Pfade,
Gleicht der Welle.
Doch auch wenn des Glückes Habe
Folget ihrem Herrn im Leben
Bis zum Saum,
Scheuen wir Fortunas Gabe,
Denn wir leben, wir verschweben
Wie im Traum.
Das Ergötzen dieser Welt,
Dessen wir so gern uns freuen,
Ist der Zeit.
Doch die Qual, die uns befällt
Ihrethalb, ist das Bereuen
In Ewigkeit.
Die Genüsse, ach, die süßen
Dieses Lebens voller Müh’n
Sind so kurz,
Tragen uns auf schnellen Füßen
Zu des Todes Abgrund hin,
Grauser Sturz!
Sprengen wir auf flinken Rossen
Unbesorgt und ohne Halt
In Gefahr,
Wenn die Umkehr uns verschlossen,
Wird der Trug uns allzubald
Schrecklich klar.
Jene Könige so mächtig,
Davon wir in Schriften lesen,
Alt und wert:
Ach ihr Stand, der einst so prächtig,
Ward zu Staub und Jammerwesen
Längst verkehrt.
Denn es gibt kein Ding so stark,
Wärens Päpste und Cäsaren,
Fürsten, Äbte:
Grad so trifft sie Tod ins Mark,
Wie wer in der Knechte Scharen
Ärmlich lebte.
Von den Troern sei geschwiegen;
Ferne sind uns ihre Helden,
Ihre Glorie;
Lassen auch die Römer liegen,
Ob die Bücher gleich vermelden
Die Historie.
Nichts von dem was einstmals war
In den abgelebten Zeiten,
Wie’s geschehn!
Doch auch unsre Tag’ und Jahr
Woll’n uns ebenfalls entgleiten
Und vergehn.
Wo ist der König Herr Juan?
Die Infanten von Aragon,
Wo sind sie jetzt?
Wo blieben Hof und Edelmann,
Wo Festes Prunk und Lautenton,
Der sie ergötzt?
Gepräng von Tjosten und Turnier,
Schabracken, Seidenstickerei
Und Ritterstaat:
War’s nichts als welke Blumenzier,
War’s nichts als Eitelkeit und Spreu,
Verwehte Saat?
Wo sind die Damen und ihr Tand,
Der Kleider Prunk, Haar und Frisur,
Der süße Duft?
Wohin der Liebesflammen Brand?
Ach, selbst der Liebe kühnsten Schwur
Verschlang die Luft.
Wohin des Liedes Melodei,
Die mit Musik zusammenklang
Beim Lautenspiel?
Wohin bei Hof der Tänzer Reih,
Der Frau’n Gewand voll Goldgerank
Schön und viel?
Dem, der nach ihm das Szepter trug,
Herrn Heinrich, dessen Ruhm und Macht
Hoch aufschoß,
War die Welt mit Schmeichlerlug
Seiner Freuden, seiner Pracht
Festgenoß.
Aber merkt, wie sie ihm Feind,
Wie so falsch und voller List
Sie verfuhr;
Sie, die einst ihn hielt als Freund.
Glaubt es nur!
Gaben unermeßner Zahl,
Königsschlösser, Saal um Saal,
Voll von Gold,
Silberschüsseln voll Geschmeid,
Münzen alt- und neuer Zeit,
Fürstensold;
Edle Rosse, ihr Geschirr,
Ritterharnisch und Panier -
Wo sind sie?
Willst, daß ich sie suchen geh?
Schmolzen wie der Märzenschnee
Vor dem Wind.
Dann sein Bruder, noch ein Knab,
Der die Herrschaft an sich bracht
Zu Lebzeiten
Jenes – welch ein Glanz umgab
Seinen Hof und welche Pracht
Ihm zu seiten!
Aber weil er sterblich war,
Riß der Tod ihn alsobald
Aus dem Wähnen.
Gottes Fügung wunderbar!
Wenn das Feu’r am höchsten wallt,
Löscht’s mit Tränen.
Dann der große Konnetabel,
Den als Meiste wir gekannt,
Hoch geehrt,
Ward Figur in tragischer Fabel:
Sein Haupt fiel von Henkers Hand
Durch das Schwert.
Alles, was er einst besaß,
Flecken, Burgen, Land und Lehn
Überall
Ward da Trauer ohne Maß,
Schande, Herzweh, Graun und Trän’,
Abschiedsqual.
Die zwei andern Brüder dann
Saßen königlich und reich
Auf dem Hort:
Groß und klein war untertan
Ihnen, alle waren gleich
Ihrem Wort.
Jenes Fürstliche Gedeihn,
Das auf höchster Höhe stand
Aller Ding,
Was wars als ein Feuerschein,
Der, je heller er entbrannt,
Eh’r verging?
Manchen Herzogs edles Blut,
Markgraf, Graf von Hohem Rang,
Edelmann -
Die wir sahen hochgemut,
Hat der Tod nun, ach wie lang!
Abgetan.
Ihre weltberühmten Taten,
Die im Kriege so gepriesen
Wie im Frieden,
Hast du an das Nichts verraten,
Grimmer Tod, hast sie verwiesen,
Ausgeschieden.
Ungezählte Heeresscharen
Mitsamt Wimpeln und Standarten,
Fahnenschwingen;
Burgen, die unnehmbar waren,
Bastionen mit Schießscharten,
Festungsringen,
Wall und Graben, Aufgebot,
Alles klüglich ausgeheckt
Teil für Teil,
Nützt es, wenn der grimme Tod
Mit dem Pfeil
Kommt und alles niederstreckt?
Allen Guten war er Schützer,
War geliebt, der Tugendliche,
Von den Mannen,
Der Maestre Don Rodrigo
Manrique, so hochberühmet
Er, der Tapfre.
Seine Taten hier zu preisen
Ziemt mir nimmer im Gedicht,
Denn man nennt sie.
Will sie drum nicht weiter weisen,
Denn die Welt vergaß sie nicht,
Jeder kennt sie.
Welch ein Freund war er den Freunden
Welch ein Herr dem Volk der Diener
und Verwandten!
Welch ein Feind war er den Feinden
Welch ein Held und Herzog kühner
Kampfentbrannten.
Welch ein Weiser den Verständigen!
Welch Gesell für die Gewitzten!
Welcher Geist!
Milde war er den Elendigen,
Doch den Schurken und Verschmitzten
Löwendreist.
War an Glück ein Octavianus,
War ein Caesar in der Schlacht
Und im Sieg;
Tapfer wie ein Africanus
Hannibal an Geistesmacht
Und im Krieg.
In der Güte ein Traianus,
Ließ wie Titus Gnade walten
Allerorts,
mit dem Arm ein Aurelianus,
Ein Atilius im Halten
Seines Worts.
War wie Antonin gelinden
Geists, wie Marc Aurel gleichmütig
Sonder Wanken
Hadrian im Worterfinden,
War wie Theodosius gütig
Von Gedanken.
Eisern, streng und hochgemut,
Ein Severus, Mannszucht lehrend
Seine Scharen;
Constantin an Glaubensglut;
Liebreich wie Camillus ehrend
Land und Laren.
Doch die älteren Historien,
Die durch seinen Arm gemalt
Jugendkraft,
hat mit neueren Viktorien
Zugedeckt er, als er alt
Greisenhaft;
Klug im Rat und an der Bürde
Der Verdienste groß geworden,
Hoch geehrt,
Ward ihm nun die höchste Würde
In dem hohen Ritterorden
Von dem Schwert.
Seine Städte, seine Lande
Hielten unterm Joch Tyrannen,
Als er kam,
Aber er zerbrach die Bande
Stark von Mut, mit seinen Mannen,
Kam und nahm.
Unser König sag es frei:
Ward er nicht durch solche Taten
Hoch erfreut?
Portugiesen, fallt ihm bei;
Und von spanischen Soldaten
Seine Leut.
“Leben, das soll ewig währen,
Kann man nicht mit Gut erringen,
Eitlem Tand,
Noch mit Lüsten und Begehren;
Wers versucht, den wird verschlingen
Höllenbrand.
Doch die guten Klosterbrüder,
Sie gewinnen, wenn sie beten
Fromm die Horen.
Und die Ritter, stark und bieder,
In Gefahren und in Fehden
Mit den Mohren.”
So obsiegte Geist dem Leibe;
Keinen seiner Sinne mindern
Durft’ das Sterben.
Angesichts von seinem Weibe,
Seinen Brüdern, seinen Kindern,
Leibeserben,
Gab er dem, der sie ihm gab,
Seine Seel’; der woll ihm schenken
Himmels Glorie.
Und obwohl er sank ins Grab,
Gönnt uns reichen Trosts Gedenken
Die Memorie. ;(
:trost: