EineArtRoman

"Es ist Schau"; Matilda war schockiert. "Wir müssen weiter", mahnte Larry. Gemeinsam luden sie den Boten aus und legten ihn in den Schatten neben einen Felsen. Matilda rief einen Krankenwagen und gab die Koordinaten durch; Larry setzte sich hinters Steuer. Sie fuhren los; im Kofferraum schepperte der Rasenmäher.

"Wohin fährt Larry?" überlegte Matilda. 

"Zu Minusch oder zu Rosenkatze?" 

Auf jeden Fall sah Larry nun ganz zufrieden aus und der neue Strohhut stand ihm ausgezeichnet. 

 
"Gluthitze"- hieß es in den Zeitungen. Heute war der wohl heißeste Tag des Jahres. Während Rosenkatze im Stau gegrillt wurde, da ihr alter Frosch, wie sie ihr Fahrzeug liebevoll nannte, keine Klima besaß; näherte sie sich Stop für Stop der deutsch-schweizerischen Grenze. "Ab welcher Gradzahl wird Eiweiß nochmal denaturiert?", fragte sie sich, und legte sich ein neues Blatt Wirsingkohl in den Nacken. 

Matilda hatte ein paar Koordinaten für den Treffpunkt rausgegeben. Whatsapp ging einfach schneller als Briefpost, obwohl es weniger Stil hat. Keine Ahnung wo sie landen würde. 

Nach einer Weile ging es voran. Der Fahrtwind senkte die Höllentemperatur auf ein foltererträgliches Maß, und Rosenkatze erblickte ein Spital,  am Zielort ihrer Strecke. Was sollte sie hier? War sie richtig? Sie stieg schweißnass aus dem Frosch und ging auf die Eingangstür zu. "Mal sehen ob ich am Empfang etwas rausbekommen kann. Immerhin wirds darin wohl kühler sein", dachte sie.

Ein barfüßiger Bekannter mit einem Verband um den Kopf, einigen Schrammen und einer Maske in der Hand saß grinsend in der Empfangshalle.

"Wo warst du denn?" fragte Schau ungeduldig. 

 
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Aber der Verband (wie zuvor die Maske) half ihm, seine Ungeduld zu verbergen - dachte er zumindest - , denn insgeheim hatte er schon seit einiger Zeit ein Auge auf Rosi geworfen.

So auch jetzt. Und er traf sie damit knapp unterhalb ihrer rechten Schulter, so dass der Rand des Wirsingkohlblattes verführerisch und buchstäblich direkt vor Auge(n) hin und her wiegte.

Das Auge isst bekanntlich mit und daher biss es augenblicklich  in eine Melange aus Rosen, Wirsing und Schweiß. Nur ein kleiner Biss, dem aber eine noch nie dagewesene Geschmacksexplosion zu folgen drohte.

Daher schloss schau70 sein Auge schnell - das andere auch -, um nicht vollends die Beherrschung zu verlieren, und nach einigen Sekunden sprach er zu Rosenkatze:

"Rosi, ich habe wohl einen Filmriss, aber ich bin mir ziemlich sicher, Matilda und Larry zuletzt in der Felsenlansdchaft gesehen zu haben. Bitte, lass' uns gleich mit deinem alten Frosch dorthin fahren."
"Wieso diese Eile, Einäugiger?", entgegnete Rosenkatze. "Hast Du etwa Angst, die beiden würden irgendeine Dummheit begehen?".
"Ne, eigentlich nicht", antwortete schau70, "aber ich mache mir Sorgen um meinen Rasenmäher. Den können nur wenige Leute in dieser Gluthitze richtig bedienen."
Rosenkatze dachte kurz an ihren Rasen, der eigentlich keinen Schnitt mehr benötigte, da er schon vor Tagen verdorrte. Aber spätestens nächstes Jahr könnte ihr dieser sprechende Mullverband samt Rasenmäher hilfreiche Dienste leisten.
Sie nickte und schlang sich ein frisches Wirsingkohlblatt um den Hals. Doch auf dem Weg zum alten Frosch juckte andauernd ihre rechte Schulter...

 
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Unterdessen fuhren Matilda und Larry in der felsigen Landschaft schnurstracks zum vereinbarten Treffpunkt. Der Himmel bewölkte sich und ein Gewitter zeichnete sich ab. 

Der erste Aufwind trieb vertrocknete Blätter über die Fahrbahn und die Sonne verbarg ihr Gesicht hinter einer schwarzen bedrohlichen Wolke. 

„Was machen wir genau dort, Mathilda? Wir fahren schon eine Weile und ich weiss noch immer nicht, wohin das alles führt.“

 
Unwissend wiegte Larry sich in den Sitz, und schloss für einen Moment die Augen. Es wurde immer schwerer wach zu bleiben. Hypnotisch wirkten die vorbeiziehenden Alleen und Landschaften, drückend schwer wog die Hitze. Die ersten warmen Regentropfen vor dem Gewitter prasselten gegen die Scheibe. Er verlor sich in seinen Träumen und verlor das Gefühl für Zeit.  

Matilda zeufzte. Ein hilfreicher Beifahrer war Larry nicht. Aber der Hut stand ihm wirklich gut, fand sie. Ein hübscher Kerl.

"Ok", rief Rosenkatze Schau zu, "dann auf!" sie stürmten gemeinsam raus, Richtung Frosch. Dunkle Wolken hatten sich über den Himmel geschoben und ließen vermuten, dass ein baldiger Schauer folgte. "kennst du den Weg?", fragte sie. "Nö", antwortete er knapp, und setzte sein altbekanntes, schelmisches Grinsen auf. Rosenkatze konnte bisher nicht einordnen, ob er wohl ein ernst zu nehmender Verrückter war, oder einfach seinen Spaß hatte. Jedenfalls fand sie ihn lustig und etwas schräg. 

Der Regen brach aus, und die beiden tauchten kurz ein in die willkommene Erfrischung, als Schaus Auge von ihrer Schulter rutschte und unter die Hinterachse kullerte. "Ach Du je", stöhnte er. Und warf sich auf den Boden, um sein Auge unterm Frosch hervorzufischen. Er schnappte es und drückte es mit einem kleinen "Plopp" wieder zurück in die Augenhöhle. Vielleicht hätte er es noch vom Sand befreien sollen, dachte er, zuckte die Schultern und stieg lässig ein. 

 
Matilda wurde langsam wütend. Seit Stunden gurkte sie mit Larry durch die Pampa; das Gewitter hatte sich wieder verzogen und es war immer noch drückend heiss. Der Akku des Handys war leer und sie hatte keine Ahnung, wo und wohin Rosenkatze unterwegs war. Als Matilda sah, dass an ihrer Hand Blut des verrückten Boten klebte, schrie sie los. 

Auch Larry schien gereizt. Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas von "hysterisch". Dann hielt er plötzlich an. 

Matilda und Larry stiegen aus und schauten sich wütend an. 

Endlich kam frischer Wind auf und die ersten Tropfen fielen. Die beiden begannen zu lachen und der liebe, gute Larry teilte mit Matilda die letzte Zigarette, die er in einer zerknitterten Packung am Fussboden des Taxis gefunden hatte. 

Von weit her war Musik zu hören. Sie hatten das Festivalgelände offenbar auch ohne GPS gefunden. Larry und Matilda liefen los, um Minusch zu suchen. 

Das Paket vergassen sie im Taxi. Und da Matilda nicht daran gedacht hatte, das Fenster zu schliessen, wurde es nass vom Regen und der Karton begann sich aufzuweichen. 

 
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Die schönen Augen hatten Minusch nicht mehr losgelassen und so fand sie sich plötzlich im Backstage-Bereich wieder und trank ein alkaholisches Süssgetränk mit dem Kerl. Gut, bei dieser Hitze wäre es wohl besser nur Wasser zu trinken, aber wer will schon vernünftig sein, wenn er etwas Spass haben kann? Matilda war bisher nicht aufgetaucht und so langsam glaubte Minusch auch nicht mehr daran, dass sie es noch tut. Egal, der Abend verspricht ja noch ganz interessant zu werden. 

 
Zur gleichen Zeit rieb sich der immer noch etwas benommene und mitgenommene (von Rosi) Bote den Sand aus dem Auge.

Mal rollte, mal hüpfte der Frosch über die Straße, Rosi aus allen Ritzen schwitzend auf dem Fahrersitz sitzend, während er dahinter rank und schlank auf der Rückbank mit aufgeheizten gespreizten unreinen Beinen lag... an jenem Tag... auch an anderen Tagen sozusagen Schenkel an Froschschenkel. So etwas kannte er bisher nur aus dem Kamasutra.

Wieder musste er sich beherrschen, behielt aber chamäleonartig mit einem Auge Rosis zuckende Schulter in selbigem und beäugte simultan mit dem anderen ihr edles Antlitz im Rückspiegel. Ein Augenblick für die Ewigkeit...

...der immerhin bis zum nächsten Schlagloch hielt! Der alte Frosch wurde ordentlich durchgeschüttelt, doch Rosenkatze behielt das Lenkrad in den Händen und die Ruhe im Herzen. Der Bote stieß sich heftig den Kopf am Froschdach und war zum ersten Mal froh über seinen dicken Verband - der Frosch auch.

Doch dadurch dämmerte es dem Boten langsam. Bilder schossen durch den Verband in sein Hirn... sein Blut an Matildas Händen... die Kapuze seines alten Lieblingspullis unter Larrys neuem Strohhut... Rosis zuckende Schulter... ein einsamer Rasenmäher in einer kargen Felslandschaft, nur von einem schweißgetränkten Wirsingkohlblatt bedeckt der Gluthitze trotzend... denaturiertes Eiweiß usw.

Doch so sehr er sich auch anstrengte, er konnte diese Bilderflut weder ordnen noch steuern. Worin lag der Sinn? Oder anders gefragt: was war der Auftrag?

Aus dem Autoradio drang die Stimme von Peter Gabriel "...waiting for the windshield on a freeway...", als eine fette Fliege an die Windschutzscheibe des Froschs klatschte und sogleich von seiner aus dem Motorraum hervorschnellenden Zunge verschlungen wurde.

"Rosi!", brach es in dem Moment aus dem Boten heraus, "gib' Gummi!"
"Nicht jetzt, mein lieber schau!", sagte Rosenkatze, "Ich bin nicht in Stimmung und dann noch diese Hitze..."
"Nein, nein!", unterbrach er sie, "Ich meine: gib' Gas! Hol' alles aus dem Frosch raus! Wir müssen jetzt so schnell wie möglich Matilda und Larry finden, damit wir dann gemeinsam den mysteriösen Auftraggeber suchen können, bevor er über alle Berge ist. Das schaffen wir nur gemeinsam, weil jeder von uns eine Teilinformation besitzt. Wie ein Puzzle, verstehst Du?!".

Und Rosenkatze trat sogleich das Gaspedal bis zur Ölwanne durch. Der Frosch quakte kurz auf und raste Richtung Horizont, wo sich schon die Sonne rot färbte und eins mit der Gluthitze wurde...

 
Als die ersten Sterne sichtbar wurden, hielt Rosenkatze an einem Waldrand. Der Tank war fast leer, und in dieser Pampa war keine Tankstelle in Sicht. Leicht erschöpft stiegen die beiden aus. Sie befanden sich an einem Berghang mit einem grandiosen Blick auf das Tal, durch das sich eine Straße in Serpentinen hinunterschlängelte. Dort unten waren ein paar Häuser mit ihren Lichtern auszumachen, eine Siedlung? Es hallte leise Musik zu ihnen. Wo die wohl herkam? 

"Wir versuchen, noch bis zu diesem Dorf zu kommen. Vielleicht finden wir etwas Benzin oder eine Tankstelle.", schlug sie vor und dachte an Hollywoodfilme und einen Schlauch, der im Kofferraum lag. Sie war für alles ausgerüstet, komme was wolle. 

Schau, der andere Pläne zu schmieden vermuten ließ ging hinters Auto, stemmte die Hände dagegen und rief Rosenkatze zu:" Zweiten Gang einlegen und Bremse raus!" "Unnötig", entgegnete sie, "ein bisschen Benzin ist doch noch im... ", doch Schau hatte schon seine Kräfte beisammen genommen und schob den Frosch an. Dieser quietschte und bewegte sich Richtung Abhang. Erst langsam, dann schneller werdend. 

Eilig sprang Rosenkatze zur Vordertür, schau schob noch kräftiger an und der Wagen polterte ihr über den Fuß. "Aua", schrie sie, während sie humpelt stehen blieb und ihrem Auto und Schau dabei zusah, wie sie den Berg runter sausten. 

 
Und siehe da: Rosi hatte Recht! Denn nach einer waghalsigen Fahrt den Abhang hinunter erreichte das Dum-Dum-Geschoss bestehend aus Frosch und schau70 relativ unversehrt und bald eine Tankstelle.

"Frosch, mach' Dein Maul auf!", sagte schau etwas genervt und schob den Tankrüssel bis zum Anschlag rein. Nachdem der Frosch den erfolgreichen Tankvorgang mit einem lauten Rülpser quittierte, füllte schau noch einen Ersatzkanister voll, packte ein belegtes Brot mit Schinken, ein belegtes Brot mit Ei, eine Flasche eisgekühlten Bommerlunder, zwei Kühlpads, einen Wirsingkopf, zwei Schachteln Zigaretten und ein Überraschungsei auf den Tresen, bezahlte alles mit seinem guten Namen, und fuhr zurück zu Rosi, die immer noch am Fluchen war.

Doch schau ging gar nicht erst darauf ein. Er steckte ihr eine Zigarette an und klemmte sie ihr forsch zwischen die Lippen, legte ein Kühlpad auf den überfahrenen Fuß, den anderen auf die zuckende Schulter, und fragte sie während er den Bommerlunder in zwei Kristallgläser goss (die gab es an der Tanke gratis dazu) "Schinken oder Ei?".

"Hmm...", zögerte Rosi, "ist denn der Wirsingkopf auch für mich?".
"Ja", anwortete schau, "aber erst morgen!"
"Und der Ersatzkanister ist für den Frosch - auch erst morgen, hä?"
"Nein, der ist für meinen Rasenmäher! Was ist jetzt: Schinken oder Ei?"
Rosi nahm einen tiefen Zug, entschied sich dann für Ei und seufzte:
"Ach, wir werden Matilda und Larry nie finden."
"Blödsinn!", entgegnete schau und streichelte über ihren geschundenen Fuß. "Sobald wir aufgegessen haben, fahren wir weiter. Wir haben es bald geschafft. Das sagt mir mein Urinstinkt...."
"Urin stinkt?" fragte Rosi vom Bommerlunder schon leicht angesäuselt zurück.
"Ur-in-stinkt!", wiederholte schau70... und biss in den Wirsingkopf...

 
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Larry und Matilda hörten das Gelächter schon von weitem und dann sahen sie die zwei Gestalten, die einander untergehakt den Abhang hinunter torkelten und langsam näher kamen. Immer wieder blieben sie stehen und schienen zu überlegen; dann nahmen sie Anlauf für einen Purzelbaum und landeten glucksend im Gras. Als Larry und Matilda das lustige Paar erkannten, fingen sie an zu kichern. 

Schau half derweil Rosi wieder auf die Beine, dann zogen sie singend weiter ihre Kurven ins Tal. 

"Ich will genau das, was die beiden hatten", sagte Matilda zu Larry und streckte die Arme aus um Rosenkatze in Empfang zu nehmen. In Matildas Augen glitzerte eine Träne. 

 
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1'500 km weiter nördlich erwachte Minusch im Autoreisezug nach Hamburg, als der Schaffner sie nach der Fahrkarte fragte. "Wo bin ich und was mache ich hier?", fragte sie ganz verzweifelt. Wo waren nur diese so selten verführerischen Augen, die sie im Backstage-Bereich so schrecklich verzaubert hatten? Leider wurde sie gleich wieder in die Realität zurückgeholt: Da war nur der immer strenger werdende Blick des Bahnangestellten. "Ohne Fahrkarte wird es ganz schön teuer", meinte er. Minusch versuchte, ihren Kopf anzustrengen. Ach, wo zum Teufel hatte sie mit Matilda abgemacht? Gleichzeitig durchsuchte sie ihren Geldbeutel, in der Hoffnung, diesen ungeduldigen Herrn in Uniform wieder los zu werden. Leider reichte der bescheidene Betrag bei weitem nicht aus, um die angedrohte Busse zu zahlen. Zu ihrer Überraschung fand sie dafür ein Ticket und der Schaffner war plötzlich wieder freundlich und hilfsbereit. "In Hamburg heisst es für Sie umsteigen", meinte er, "Gleis 12, gleich gegenüber"... 

 
Matilda wollte Rosi nicht mehr loslassen. Ihre Haare rochen so gut und Rosis liebes Herz, das immer verstand, so nahe an ihr pochend zu spüren, liess sie weinen. 

Erst als Rosis Schnapsfahne zu ihr wehte, entschied sie sich, lieber Larry und Schau zu knuddeln. Letzterer war allerdings schon im Getümmel des Festivals verschwunden. Sie sah ihn erst wieder als er auf die Hauptbühne kletterte und im gleissenden Scheinwerferlicht auftauchte.  

"Und was machen wir?", fragte Matilda; als ein schöner, glutäugiger Mann sie ansprach. Schau hatte sich inzwischen ein Mikrofon geschnappt und die Band offenbar dazu animiert, die Musik noch lauter zu drehen. Halbnackt rannte er auf der Bühne hin und her. Er sprang und fiel, brüllte und klopfte sich mit den Fäusten auf die Brust. Das Publikum tobte. 

Matilda verstand kein Wort des schönen Mannes; überhaupt konnte sie sich gar nicht konzentrieren; in diesen Augen wollte sie versinken. Sie sah Spanien und das Meer nach einem heissen Tag, wenn es dunkel wurde und die Wellen sanft gegen den Strand schwappten. 

Der Mann schien sich nicht für Matilda zu interessieren; während sie mit den Wimpern klimperte und diskret den Träger ihres Mieders etwas zur Seite gleiten liess, wendete er den Blick ab und holte Papier und Stift hervor.

"Wo ist Minusch", stand auf dem Blatt, das er Matilda hinstreckte. 

 
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Matilda klammerte sich am feurigen Spanier fest. Sie wollte nirgendwo hingehen. 

 
Währenddessen sass Minusch bereits wieder im Flugzeug Richtung Süden. Sie wollte nur noch zurück an dieses Festival, zurück zu diesen Augen, die sie komplett verzaubert hatten und zu Matilda, mit der sie ja dort eigentlich verabredet war. Irgend jemand muss ihr etwas in den Drink geschüttet haben, um sie willenlos zu machen. Danach hat man sie einfach in den nächsten Autozug Richtung Norden gesetzt, ausgestattet mit einem One-Way-Ticket nach Kopenhagen. Der Kopf schmerzte ohne Ende und der Kaffee half gar nichts dagegen. Wer wollte sich dort mit ihr treffen? Oder war es mehr ein: Wer wollte sie weg haben? Das wird sie nun eventuell nie erfahren, weil sie ja statt den Zug nach Kopenhagen den nächsten Flug zurück genommen hat. Für diese Augen würde sie überall hin fliegen, obwohl sie eigentlich stark unter Flugangst litt.  Ja, diese Augen musste sie wiedersehen, koste es was es wolle. Hoffentlich kam sie noch rechtzeitig. Sie wusste ja nichts ausser seinem zartschmelzenden Vornamen (zumindest, wenn er ihn aussprach) und seine Telefonnummer hatte er nur für sie in eine Bar im Backstage-Bereich hinein geritzt... Aber ausser an die Vorwahl (079) konnte sie sich an keine Ziffer mehr erinnern....

 
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Sie kramte ihre Tasche nochmals durch und suchte auch in den Innenfächern ihrer Jacke, um mögliche Hinweise zu finden. Die Wolken zogen unter ihr hinweg. In einer halben Stunde sollte der Vogel landen. Ihr war mulmig zumute. Die Katerstimmung tat ihren Rest dazu, sodass sie promt zur besetzten Flugzeugtoilette stürmen musste. "Beeilt euch!" rief sie ungeduldig gegen die verlossene Tür und hämmerte mit der Faust dagegen. Es half nichts. Die Zeit wurde zu knapp. Schnell zog sie ihren Schuh aus und gab diesem alles, was sich noch in ihrem Magen befand, als sie bemerkte, dass aus ihrem Socken ein Zettel hervorschaute. Sie nahm ihn, entfaltete ihn und las: 

"Bezaubernde, verrückte Fremde.

Du bist mir beim Festival sofort ins Auge gefallen. Leider fehlte mir der Mut, dich anzusprechen. Ich habe es den ganzen Abend versucht. Doch als du beschäftigt warst, mit dem Sänger zu flirten (was sich für mich wie tausend Stiche im Herzen anfühlte) ergriff ich meine Chance und beweise Dir somit meine Liebe. Als du weggesehen hast, habe ich ein Rezept meiner Großmutter ausprobiert, welches ich als Tinktur mit mir trug. Ich träufelte es in dein Glas. Leider wurdest Du zugleich ohnmächtig. Eigentlich ist ein Aprodisiakum, seit Generationen aus meiner Familie weitergetragen. Ich sang dir Lieder vor, als du weggetreten in meinem Arm hingst. Vielleicht erinnerst Du dich? Jedenfalls wirst du bald in meiner norddeutschen Heimat angekommen sein, zu der ich dich geschickt habe. Hoffentlich hast du die Wegbeschreibung in deinem anderen Schuh gefunden. Ich komme sobald wie möglich nach. Ich muss noch einen Sänger aus dem Weg räumen um uns unsere glückliche Zukunft zu sichern. 

Bis bald, holdeste der Anmutigen, schönste Fremde, baldige meine Königin.

Dein Verehrer, Francesco. "

 
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"Was fällt diesem Francesco auch ein!", ärgerte sich Minusch. "Einsperren müsste man solche Menschen! Das ist Entführung und Freiheitsberaubung! Ich muss zu sofort zurück zu diesen Augen, und auch zu Matilda..." Was das wohl für eine Tinktur war, fragte sie sich gleichzeitig. "Hoffentlich wurde ich nicht ernsthaft vergiftet."  Mit diesem Gedanken wurde ihr gleich noch viel mehr übel, so dass sie auch den anderen Schuh bis zur Hälfte mit Mageninhalt füllte. 

Entsetzte Blicke trafen Minusch, als sie sich kurz danach auf den Weg zurück zu ihrem Sitz machte. "Was schauen Sie so blöd", fragte sie - inzwischen barfüssig - die mit grossen Augen glotzenden "Zuschauer" auf ihren teuren Plätzen. Es klang fast so, als ob es die normalste Sache der Welt wäre, dass man im Flugzeug vor den Augen der First-Class-Passagiere in beide Schuhe erbrach und diese dann im viel zu kleinen Abfallkübel neben der Bordtoilette deponierte. Danach liess sie sich in ihrem Sitz nieder, als sei gerade kurz auf dem Klo gewesen...

 
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Derweil am Festival; Matilda war zwischen drei Männern eingeklemmt, was sie grundsätzlich ganz angenehm fand. Sie hielt sich immer noch am Spanier fest, der sie zuerst abschütteln wollte; sich dann aber hinter ihr versteckte als ein kräftiger Fremder sich auf ihn zu stürzen versuchte. Er schien zum Personal zu gehören; auf seiner Bühnenarbeiterweste stand "Francesco". Der tapfere Larry zog weiter an Matildas Arm und endlich gab sie nach und liess den Spanier los. Sie fiel beinahe auf Larry; er fing sie im letzten Moment auf und sie rannten Richtung Auto. Aus den Augenwinkeln sahen sie, dass sich der Bühnenarbeiter und der Schöne ineinander verkeilt hatten und zusammen zu Boden gingen. 

"Zehn kleine Jägermeister" gröllte Schau auf der Bühne ins Mikrofon und tausende von Stimmen gröllten mit. 

"Was für ein Abend, was für eine Kulisse", flüsterte Larry, als sie beim Auto angekommen waren. 

"Danke dir", hauchte Matilda. "Ich weiss gar nicht, was da passiert ist. Ich sah nur noch diese Augen und war wie gebannt."

 
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Nach diesem abgefahrenen Konzert saß schau70 erschöpft im Backstagebereich umringt von halbnackten Groupies und schleimigen Managern. Erstere zerrten an seinem Kopfverband (viel war davon allerdings nicht mehr übrig), zweitere hieltem ihm fordernd diverse Veträge unter die Nase, in der sich immer noch ein explosives Gemisch aus Wirsingkohl, Schweiß, Rosenduft und Sehnsucht befand.

Und es explodierte tatsächlich, als er nämlich Geräusche hörte, die ihn an ein landendes Flugzeug erinnerten. Er sprang auf, schüttelte die Meute wie lästige Schmeißfliegen ab und schrie: "Hinfort, ihr Parasiten! Sex, Drugs, Rock'n'Roll, Wine, Women and Song... pah, das alles hatte ich schon, aber es gibt mir nix mehr. Ihr denkt, Reichtum und Macht sind die Lösung all eurer Probleme, aber ich sage euch: Vorbeugen ist besser als auf oder in die Schuhe zu kotzen!".

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, beugte er sich während seiner Ansprache leicht nach vorne. Dabei kullerte ihm das Überraschungsei von der Tankstelle aus dem Lendenschurz. Er packte es aus, aß die Schokolade und öffnete die Plastikverpackung. Darin befand sich eine kleine, schwarze Figur, barfuß, aber mit Strohhut auf dem Kopf und eine Art Kranz um den Hals... hmm, vielleicht ein Wirsingkohlblatt... und ein Zettel in der Hand auf dem stand: Verlier' nie Dein Ziel aus den Augen!

Schlagartig war er wieder klar im Kopf. Er ging in die nächstgelegene Umkleidekabine, entledigte sich der restlichen Stofffetzen, duschte ausgiebig seinen Astralkörper, und suchte danach neue, frische Kleidung, fand allerdings nur einen rosafarbenen Frottee-Bademantel. "Egal", dachte er, "für den Anfang reicht's. Ich werde auf meiner Mission bestimmt noch etwas Passenderes finden...", und verließ singend das Festivalgelände, erst langsam, dann immer schneller werdend...

"Einer für alle, alle für einen
Wenn einer fort ist, wer wird denn gleich weinen?
Einmal triffts jeden, ärger Dich nicht!
So gehts im Leben, Du oder ich"