ich möchte jetzt hier einfach mal meine eltern als beispiel für eine beziehung aufführen, die vielleicht gerade deshalb so gut funktioniert, weil hier das vielbeschworene ideal der treue nicht krampfhaft hochgehalten wird:
die beiden sind seit 30 jahren verheiratet, lieben sich immer noch sehr, waren aber in vielen punkten von anfang an grundverschieden.
dass dies über kurz oder lang zu gewissen differenzen führen musste, wurde beiden spätestens dann klar, als sie sich gut genug kannten, um sich gegenseitig nicht mehr zu idealisieren. das heisst nicht, dass die liebe deshalb schwächer wurde, aber die beiden haben eingesehen, dass ein partner nur in den seltensten fällen alle bedürfnisse des anderen abdecken kann und dies im grunde auch nicht tun sollte, wenn er sich dabei verbiegen muss.
um das bild ein bisschen zu konkretisieren: mein vater ist ein grundehrlicher, pragmatischer und sehr humorvoller typ, der meint, was er sagt, und nicht unbedingt zu verzärtelungen neigt. meine mutter kann mit ihm auch nach dreissig jahren noch eine menge spass haben und nächtelang mit ihm in der küche philosophieren. genau das liebt sie an ihm und möchte es keinesfalls missen.
andererseits muss sie auf romantische stunden weitgehend verzichten, das ist einfach nicht sein ding und war es nie.
meine mutter, von eher verspieltem, verträumtem naturell, ein weicher, sehr femininer typ mit einem eindeutigen hang zur romantik, war selbstbewusst genug, sich irgendwann einzugestehen, dass ihr ganz eindeutig etwas fehlt, und zwar, obwohl sie meinen vater tief und aufrichtig liebt. meinem vater ging es umgekehrt ähnlich: er vermisste bei meiner mutter einen gewissen biss und die kernigkeit, ihm in seiner oft offensiven art, probleme anzupacken, beizustehen.
nach dreissig jahren beziehung ist man, denke ich, so weit, einzusehen, dass es wenig bringt, am partner herumbiegen zu wollen. die beiden haben sich zusammengesetzt und offen darüber geredet, was fehlt. und dass es vielleicht besser ist, sich das, was der partner nicht einbringen kann, anderswo zu holen, als es sich jahrelang gegenseitig zum vorwurf zu machen und irgendwann darüber zu verbittern.
und es funktioniert hervorragend. die beiden erzählen sich von ihren erfahrungen – dabei geht es in den seltensten fällen nur um sex – und inspirieren sich damit oft gegenseitig.
natürlich ist das kein patentrezept: man muss schon sehr tolerant sein und sehr unegoistisch (und in vielen fällen hat dieser treueanspruch einen egoistischen touch), damit eine solche lösung funktionieren kann. aber genau das ist es, was ich an den beiden so bewundere: diese wunderbar vertrauensvolle und unselbstbezogene basis, die es ermöglicht, dem anderen den freiraum zu lassen, den er braucht, um sich entfalten zu können und sich wohl zu fühlen.
es gibt eine zeile aus einem lied, mir fällt gerade nicht ein, von wem es ist: „ich will nicht allein sein und doch frei sein“ das haben sich die beiden zum grundsatz gemacht, und in ihrem fall kann ich das nur gutheissen.
schlussendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, aber ich bin auch eher für die töne zwischen schwarz und weiss...