Heute will ich die Geschichte der T. weitererzählen, die allen ja bis zu dem glückseligen Abend an meinem Jahrestag bekannt ist. Was geschah weiter?
Das Geschehen verlagert sich schon seit längerem auf die Ebene von Emotionen, deren Veränderungen einen Handlungsstrang bilden, der die tatsächlichen Begegnungen überlagert und überholt. T. entspricht einem Bild meiner inneren Sehnsucht, dem Bild einer Frau, die sehr anders ist als meine letzte Beziehung, N. Sie ist sehr zärtlich, ich darf an dieser Stelle vielleicht sogar schreiben, dass mir in T. die zärtlichste Frau meines Lebens begegnet ist. Nicht allein, dass sie in der Lage ist, wahrhaft zärtlich zu sein, wenn die Nacht sich gesenkt hat und man sich im Schleier einer das Böse des Tages verhüllenden Dunkelheit nahe ist ... nein, sie ist es immer gewesen, in jedem Moment, den wir verbracht haben. Immer hat eine zärtliche Fingerspitze, eine aufgelegte Hand, eine Hüfte, die sich an der meinen rieb, eine zärtliche Liebe um uns verströmt, die wie ein betörender Duft in der Luft hing, die wir gemeinsam atmeten. Zudem war sie strahlend wie nur die Morgensonne strahlt, wenn sie sich gerade über dem Horizont zu zeigen beginnt. Ein anderes Strahlen als das der N., die die überwältigende Kühle eines geschliffenen Diamanten auszustrahlen wusste.
Und diese zarte T., Schmetterlingsflügeln gleich tanzte sie in mein Leben hinein und überwältigte mich. Zunächst, weil ihr Lachen und ihre Ausstrahlung mir gefielen und später dann auch mit ihrer Muse, die als ein großartiger und kaum zu überschauender Fundus in ihr ruht. Nicht allein Worte, die sie hervorbringt und die jedem Dichter dieser Erde zur Ehre gereichen würden, nein, es umgibt sie beständig eine musikalische Aura, die ein unhörbares Summen um sie schwingen lässt, das sich mit dem Duft ihrer Zärtlichkeit aufs angenehmste zu paaren und zu verbinden wusste. Und ihr Lachen! Glöckchen und Glocken klingen, wenn sie lacht.
Und all das ist noch lange nicht alles, doch was soll man mehr zu schildern suchen, von ihrer Intelligenz, von ihrem Witz, von ihrem unverbrauchtem Charme? Wo doch schon wenige dieser Eigenschaften sie so auszuzeichnen wussten, dass mein Herz, einem Kamikaze-Flieger gleich, alle Bürden von sich zu werfen suchte, um sie zu erobern und ihr nahe zu sein. Doch es war zu früh und die Bürdenlosigkeit war auch eine Haltlosigkeit, die Geschwindigkeit unseres selbsteingeschenkten Rausches nahm zu und schon die erste zeitlich begrenzte Trennung bremste sie beinahe zum Stillstand ab. Das Unaussprechbare, das als Band zwischen uns, die Seelenverwandtschaft, existiert, wird wohl immer weiter existieren, doch ich muss jetzt wohl langsam alle die Bande loslassen, damit mein geliebter kleiner Schmetterling sich frei bewegen kann, wohin es ihr beliebt. Ich bin die Blüte nicht, an der sie verweilen wird.
Das ist die Geschichte der Entwicklung, die es gegeben hat. Ich konnte es nicht voraussehen, aber mein Bemühen, ihr zu ermöglichen, was ihr entspricht, lässt mich erkennen, dass ich es in dieser Situation eher nicht sein kann, der ihr entspricht. Und zugleich, dass sie es wohl nicht sein kann, im Augenblick, die mir entspricht. Es handelt sich dabei wohl nicht um einen Makel oder einen Mangel, der unsere entstehende Liebe wieder unmöglich werden ließ. Es handelt sich eher um die Gleichzeitigkeit von Unvereinbarem. Da ist ihr Drang, sich nach einer annähernd vollständigen Neuorientierung einen eigenen freien und unabhängigen Weg zu suchen, der sie von dem, was ist, zu dem führen wird, was sein soll. Sie ist nicht „reif“ sich festzulegen, ist flatterhaft und nicht einschätzbar. Und da ist meine Geschichte, die Sicherheit sucht und braucht und die von mir selbst den Schutz vor weiteren Verletzungen fordert wie das Versagen weiterer Herzensabenteuer mit ungewissen Ausgang. Narbengewebe am Herzen mag irgendwann einmal heilen, aber je mehr es wird, desto eher wird es taub.
Ich habe danach gestrebt, so zu lieben, wie es mir als ein Ideal vorschwebt: Die Liebe soll zulassen, dass es der geliebten Frau an nichts mangelt. So ist es auch diese Liebe, die sie jetzt langsam wieder freigeben möchte. Und die Liebe zu mir ist es auch, denn ich ertrage die passive Situation, aus der ich mich absichtlich nicht herausbegebe, weil ich eine freiwillige Zuwendung zu mir wünsche, nicht mehr lange. Meine Liebe zu ihr wandelt sich - in einem Prozess, dessen Katalysator wohl die Traurigkeit ist, die ich jetzt verspüre - in eine Liebe, die nicht fordert, sucht und sehnt, sondern die sie freigibt. Neue Wunden reißt es in mein Herz, wenn ich sie herausgehen lasse. Aber wenn ich keine Zukunft sehe, was kümmert mich der momentane Schmerz, den ich ja eintausche gegen ein Dauer-Sehnen, auch nicht schmerzfrei ... ?
So kann es in meinem Kosmos die Gleichzeitigkeit von der selbstlosen, nichts fordernden Liebe und dem Begehren der geliebten Frau als Partnerin nicht geben. Die Sehnsucht sucht ein Ziel und wer Ziel ist, ist nicht frei. Ohne mir sicher zu sein, das richtige erkannt zu haben, werde ich T. als Ziel wohl langsam aufgeben, wende mich einer anderen Vorstellung zu, gebe auch mir selbst die Freiheit wieder, die mich eines Tages offen sein lässt für ein neues Begehren und ein neues Ziel.
Es geht mir auch darum, mich „nicht zu vergessen“. Es wird mir gelingen. Ich werde auch für mich dasein. Indem ich langsam die Hoffnung fahren lasse, dass sie verschwindet wie ein Drache, den man höher und höher steigen lässt. Wenn man ihn nicht mehr sieht, dann kann man auch die Schnur loslassen, dieses dünnste aller möglichen Bänder, man kann sich wenden und gehen, zu einem neuen Ort, an dem der Wind auch wieder stark weht, die Sonne wieder scheint und das Leben in all seiner Pracht und Güte sich vor einem ausbreitet wie eine Blumenwiese mit fettem grünen Gras und einer Übermacht an Schönheit und Farben.
Noch habe ich die Schnur in der Hand, aber ich sehe, wie der Drache langsam in den Himmel steigt. Ich bilde mir ein, ihn noch zurückholen zu können, wenn ich merke, dass der Wind ihn nicht trägt. Aber wenn alles so bleibt, wie es zur Zeit ist, dann sehe ich den Tag kommen, an dem ich die Schnur loslassen werde. Traurigkeit umfängt mich jetzt. Den Drachen entschwinden zu sehen ist, als würde ich die Schnur direkt durch mein Herz führen, ein beständiges Ziehen ist die Folge. Doch ich muss wohl loslassen können. Für sie. Für mich. Für die gute Zukunft.
little boy