Hallo Iratlos,
danke für die Antwort.
Es ist tatsächlich schwer mit anderen Leuten über das zu reden, was man durchgemacht hat. Selbst der engste Familienkreis und die dicksten Freunde können sich die Umstände nur sehr schwer bzw. gar nicht vorstellen. Die hören zwar gut zu, aber du und viele von den anderen hier kennen sicherlich das Gefühl sehr genau, nicht so richtig verstanden zu werden.
Für mich selbst habe ich immer mehr die Analogie zum Drogenrausch akzeptiert. Nach allem was man von und über Leute auf Entzug hört, scheint die Beziehung zu einer Borderlinerin oder einem Borderliner tatsächlich extrem große Parallelen aufzuweisen. Nicht nur die Beziehung selbst, sondern eben besonders auch die Zeit danach. Je mehr man sich jedoch löst, je mehr emotionale Distanz dazwischen kommt, desto klarer wird der Verstand wieder. Die Droge verliert ihre Wirkung.
Wie du schon formulierst, Angst vor Verlust will man nicht haben. Es ist solch ein quälendes Gefühl. Das bizarre an meiner Beziehung war eben – und vielleicht war das auch bei dir und den vielen anderen hier genauso – dass ich eben auf der Suche nach Sicherheit, Verlässlichkeit, Treue und Liebe war und genau das schien gefunden worden zu sein. Ich wollte mich fallenlassen und tat dies zu Beginn auch ohne zu Zögern, aber das paradoxe war dann eben, dass ich in meinem ganzen Leben auf rationaler Ebene noch nie eine solche Angst und Unsicherheit gespürt habe. Diese positiven Gefühle, welche zu Beginn sehr präsent waren und zum Schluss immer seltener worden, waren nichts anderes als diese Illusion. Wahrscheinlich eben eine Spiegelung der eigenen Bedürfnisse durch die Borderlinerin. Ein kleiner Teil des Verstandes realisierte dies zum Glück schon irgendwie während der Zeit der Abhängigkeit, weshalb dieser darauf hinarbeitete, diesen Suchtzustand zu beenden. Natürlich waren diese subtilen Versuche nicht von Erfolg gekrönt, aber sie beschleunigten wohl das Ende und verkürzten damit die Leidenszeit. Dahingehend ist es interessant zu analysieren, welche Macht ein gesundes Unterbewusstsein trotz alle dem ausüben kann, um den Körper und den Geist zu schützen. Das Ende stand sowieso fest; die Frage ist halt immer nur wann es soweit ist.
Furchtbar ist es durchaus, dass diese wunderbaren Erinnerungen für die andere Person absolut nichts mehr bedeuten. Aber man muss ehrlich sein, das liegt in der Natur der Sache. Das Phänomen der Borderline-Beziehung könnte ohne diesen Mechanismus gar nicht existieren. Man wäre damals ja gar nicht erst mit der Borderlinerin / dem Borderliner zusammengekommen, wenn diese Person nicht genau das gleiche mit der/dem vorhergehenden Partner(in) gemacht hätte. Im Borderline-Kreislauf ist dies eben ein genauso essentieller Bestandteil wie der Tod im Kreislauf des Lebens.
Die folgenden Fragen sind an alle gerichtet, die genau in der gleichen Situation waren/sind…
Fehlt euch diese Zeit von damals, diese Momente des schier unendlichen Glücks? Diese High-Gefühle? Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, das noch mal mit einem „normalen“ Menschen zu erleben. Mir ist völlig klar, dass natürlich eine „normale“ Beziehung insgesamt gesünder und schöner ist, einen viel glücklicher macht und der Vergleich eigentlich sowieso gar nicht möglich ist. Aber dennoch, kann es einem passieren, dass man irgendwie immer noch auf der Suche nach dem bleibt, was man in der Zeit mit dem Borderliner vergeblich versucht hatte zu finden, auch wenn die Person und die Umstände völlig andere sind? Oder in der Metapher der Glases Wasser in der Wüste ausgedrückt. Versucht man immer noch dieses Glas zu erreichen (auch wenn es gar nicht da ist, aber das war es ja sowieso noch nie)?
Ich muss ehrlich zugeben, in gewisser Weise habe ich durchaus Angst, dass das Ganze doch eine bleibende Wirkung auf das weitere Leben haben wird. Nicht umsonst dürfen bzw. sollten trockene Alkoholiker nie wieder einen Schluck Alkohol für den Rest des Lebens trinken. Aber ist eine neue Beziehung in diesem Sinne nicht immer auch ein Schluck Alkohol? Logisch, dass man darauf nicht für immer verzichten will (auch wenn mir in meinem metaphorischen Magen noch für einige Zeit speiübel sein wird und ich für die nächste Zeit freiwillig verzichte ;-) Dennoch, irgendwann kommt eine neue Person ins Leben und dann denkt man nach. Man muss ja nachdenken, allein schon wegen der Gefahr, noch mal an einen solchen Boderline-Menschen zu geraten. Die Theorie der Komplementärstörungen und der damit einhergehenden Tendenz mit solchen Leuten emotional schnelle Bindungen einzugehen hilft da auch nicht gerade zusätzlich zur Beruhigung. Oder habt ihr es geschafft und habt euch schon emotional voll und ganz erholt? Einige hier anscheinend noch längst nicht, aber wie ist es zum Beispiel bei dir, Iratlos? Du scheinst im Verarbeitungsprozess schon sehr weit gekommen zu sein. An der Stelle auch vielen Dank, dass du dir trotz alle dem immer noch die Zeit nimmst, hier aktiv mitzuschreiben und anderen zu helfen. Das ist sicherlich alles andere als selbstverständlich.
Viele liebe Grüße,
Michi