Noch ein Nachtrag.....:
Als Psychiater sehen wir den Mechanismus der Auftrennung zwischen einer
guten und bösen Welt, zwischen Idealisierung und Abwertung besonders in der
Therapie. Die Trennung in Gut und Böse mit einem plötzlichen Umkippen der
Idealisierung in die völlige Abwertung hat den Sinn und das Ziel, die
Beziehung zum Partner, zur Berufswelt oder zum Therapeuten abzubrechen, wenn
die Beziehung einerseits zu dicht wird oder aber den Idealvorstellungen
nicht mehr entspricht. In diesem Moment bleiben von Zuneigung und Liebe
wenig oder nichts übrig, sondern der bislang geliebte Mensch wird für
kürzere oder längere Zeit verteufelt und abgewertet. Im Verlaufe von
Stunden, Tagen oder Wochen weichen die Haßgefühle zumeist einem positiv
getragenen Gefühl - der Liebe.
Die völlige Abwertung des geliebten Menschen über einen gewissen Zeitraum
entspricht dem archaischen, aufgestauten Aggressionspotential, das enorm ist
und keine positiven Seiten am anderen zuläßt. Es gelingt dem Symbiotiker in
der Regel nicht, mit dieser enormen Wut umzugehen. Es gibt für ihn entweder
den Weg des Rückzugs, der völligen Abwertung, wobei er Gefahr läuft, die
Beziehung zu zerstören, oder aber er idealisiert seinen Partner weiterhin
und verdrängt seine archaische Wut, die den Partner sonst treffen würde.
Aufgabe des Erwachsenen ist es aber, seine infantilen Aggressionen zu
überwinden, die inneren Gegensätze seiner Persönlichkeit bewußt werden zu
lassen und zu integrieren.
Die Suche nach Verschmelzung und Wiederherstellung der symbiotischen
Einheit mit dem allmächtigen Objekt wird vom Symbiotiker zwar heftig
betrieben, das Wiederauffinden des Paradieses gelingt ihm aber nicht mehr.
Auf diese Enttäuschung reagiert er mit brüsker Ablehnung, die sich als
Abbruch der Beziehung darstellen kann. Je stärker der symbiotisch gebundene
Patient mit dem allmächtigen Objekt eine Einheit bilden möchte, desto mehr
wird er auf reale Enttäuschungen mit Abwertungsmechanismen reagieren, die
das Umschlagen von Zuneigung in Enttäuschungsärger beinhalten. Nachdem der
Symbiotiker die Symbiose unter Schuldgefühlen und einer Fülle von Symptomen
gespalten hat, ist er nicht mehr genötigt, Beziehungen zu spalten und
abzubrechen, sein Gegenüber übermäßig abzuwerten und abzulehnen, da er nach
Auflösung der Symbiose zu einer erwachsenen Ich-Du-Beziehung befähigt ist.
Primitive Idealisierung
Die Neigung, äußere Objekte übermäßig zu idealisieren, ist in ihrer
starken Ausprägung eine infantile Haltung. Sie entstammt der Identifikation
mit dem allmächtigen Objekt. Kernbergs Feststellung, daß die idealisierte
Person "als Beschützer gegen eine Welt voller gefährlicher Objekte (23)
auftritt, stützt meine Beobachtungen über symbiotische Verhaltensweisen beim
"Borderline-Patienten."
Projektive Identifikation
Die projektive Identifikation spielt in meiner Nomenklatur keine Rolle.
Der Begriff wurde von der Klein'schen Schule entwickelt, deren unklaren
Sprache ich bemängelt habe. Auch Wurmser hat sich kritisch zu diesem
überflüssigen Begriff der Psychoanalyse geäußert (52).
Grandiosität und Allmacht
Grandiosität und Allmacht sind symbiotische Verhaltensweisen. Sie sind
nicht "direkte Manifestation primitiver Introjektion und Identifizierung zu
Abwehrzwecken" (23), sondern sie stehen in einem direkten Zusammenhang mit
der infantilen Symbiose. Ein Mensch, der in der Welt der Kindheit
hängengeblieben ist, der seine infantilen Größenphantasien weiterhin nährt
und verwirklichen will, der so sehr von seiner Mutter in diesen
Größenphantasien bestärkt worden ist, durch ihre allumfassende Zuwendung und
Liebe; ein Mensch, der in seinen Grenzen, in seiner Identität so sehr
gestört worden ist, wie es bei symbiotisch gebundenen Menschen vorkommt, der
wird kompensatorisch, aber auch gefüttert durch die narzißtische Liebe
seines mütterlichen Objektes, Allmachtsphantasien hegen und verwirklichen
wollen. Sie werden kompensatorisch gebildet infolge von Ohnmachtsgefühlen
gegenüber allmächtigen Objekten.
In folgenden Redewendungen findet sich Grandiosität:
Nie werde ich heiraten.
Das werde ich niemals tun.
Das habe ich immer schon so gemacht.
Das schaffe ich nie.
Ich interessiere mich für nichts.
Keiner kann mir helfen.
Keiner versteht mich.
Keiner liebt mich.
Ich habe schon alles versucht. Kein Therapeut ist gut für mich.
Du hörst mir nie zu.
Sowohl in therapeutischen Beziehungen als auch in den
Partnerschaftskonflikten ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß Sätze wie
"Keiner hat mich lieb" oder "Keiner versteht mich" nur dazu dienen, die
Symbiose mit dem elterlichen Objekt aufrechtzuerhalten. Der grandiose Mensch
ist nicht bereit, aus seinem mütterlich-kindlichen Beziehungsmuster
auszusteigen und sich auf die jetzige Beziehung einzulassen. Es ist
schwierig, an derartige Menschen heranzukommen und sie zu einem anderen
Verhalten zu bewegen. Sie sind schnell gekränkt, ziehen sich beleidigt
zurück, oder sie reagieren mit narzißtischer Wut.
Grandiosität findet sich beim Narzißten, der zu sehr in seine eigenen
Ideen verliebt und überzeugt ist von seiner Großartigkeit in bezug auf seine
Begabungen und seine Ideen. Er scheitert jedoch häufig in engen,
zwischenmenschlichen Beziehungen.
Grandiosität kann auch aus der Abwehr einer depressiven Grundstimmung
entstehen. Anstatt die Depressivität und Trauer, die notwendigerweise im
Loslösungsprozeß entsteht, zu ertragen, wird sie bei den Menschen, die sich
grandios verhalten, verdrängt und in ihr Gegenteil verkehrt.
Abwertungen
Der Symbiotiker wertet ab, wenn die Nähe unerträglich groß wird.
Abwertungen haben den Sinn, die Symbiose zu den Eltern aufrechtzuerhalten,
da Abwertungen zurück zum elterlichen Herd führen. Wer abwertet, fühlt sich
nicht wohl in der Welt, sondern er mäkelt an vielem herum, um Beziehungen
abzubrechen und eine Zugehörigkeit zu verhindern. Der Symbiotiker versucht,
das Weltbild der Kindheit zu erhalten, indem er die Realität umdeutet und
herabsetzt.
Abwertungen sind gleichzusetzen mit Zweifeln. Auch die Zweifel dienen
dazu, die Symbiose zu erhalten. C.G. Jung sieht im Zweifel das Wirken der
ungelösten Mutterbindung: "Jedes Hindernis, das sich auf seinem Lebenspfad
türmt und seinen Aufstieg bedroht, trägt schattenhaft die Züge der
furchtbaren Mutter, die mit dem Gifte des heimlichen Zweifels und des
Zurückweichens seinen Lebensmut lähmt, und in jeder Überwindung gewinnt er
die lächelnde Liebe und lebensspendende Mutter wieder" (20).
Dem Zweifel können sämtliche Lebenssituationen unterworfen werden, die
Entscheidungen erfordern. Häufig sind die Zweifel oder die Abwertungen
gegenüber dem Ehepartner oder in der therapeutischen Situation. Die große
Nähe derartiger Beziehungen wird nicht ertragen oder als harmonisch erlebt,
sondern als bedrohlich und verschlingend. Um diesem regressiven Sog und der
gefürchteten Allmacht zuvorzukommen, wird die Nähe durch Abwertungen
zerstört.
Der Symbiotiker will durch Umdeutung der Realität die Welt der Kindheit
wiedererstehen lassen. Zu dem Zweck, die Symbiose zu bewahren, wird die Welt
in eine gute und böse gespalten. Die Außenwelt wird abgewertet, während die
Familie, die das Gute verkörpert, idealisiert wird. Aggressivität wird nur
gegen die Außenwelt zugelassen. Innerhalb der Familie wird die Aggressivität
ausgeblendet. Direkte, aggressive Äußerungen sind tabuisiert, so daß sie
nach außen projiziert werden oder sich in Krankheitssymptomen manifestieren.
Narzißmus
Auch Kernberg vertritt die Theorie von der frühen Störung, die durch frühe
orale Traumata und enorme prägenitale Aggression hervorgerufen wird. Die
Nähe des Borderline-Syndroms zum Konzept des Narzißmus liegt darin
begründet, daß im Narzißmus eine harmlosere, weniger lärmende und
symptomreiche Form symbiotischen Verhaltens zu sehen ist. Wenn sich aber der
Narzißt seiner Ablösungs- und Individuationsproblematik stellt, setzt auch
bei ihm oft eine laute, vielfältige Symptomatik ein.